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Das Scheitern der bürgerlichen politischen Ökonomie

Seit langem kam die allgemeine Krisenhaftigkeit der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr so offensichtlich zum Vorschein wie in dieser Situation. Die Herrschenden wurden in ihrem geradezu sektenhaften Glauben an ihre eigenen wirtschaftlichen Fehleinschätzungen völlig unvorbereitet getroffen. Ihre bürgerliche Ideologie steht vor einem Scherbenhaufen. Die Wirtschaftsprognosen lagen gleich in Serie so daneben, dass schließlich im April 2009 der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Zimmermann, die weiße Flagge hisste und weitere Vorhersagen verweigerte: „Wenn man nichts weiß, sollte man auch nichts vorlegen.“1 Nicht ohne Grund sieht sich der neue Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, bemüßigt, davor zu warnen, „die soziale Marktwirtschaft insgesamt infrage zu stellen“. Beschwörend wandte er sich gegen „einseitige Schuldzuweisungen: die Banker, die Manager, die Politiker, die Globalisierung … Dafür ist die Lage viel zu ernst, denn wir sind längst inmitten einer neuen Systemdebatte.“2

Die Angst der herrschenden Monopole und ihrer Regierung vor „Systemdebatten“ ist nur allzu berechtigt, weil natürlich jeder politisch denkende Mensch irgendwann die Frage nach den eigentlichen Ursachen des gegenwärtigen Desasters aufwirft. Über die Existenz oder gar über die Ursachen der gesetzmäßig auftretenden Wirtschaftskrisen werden wir allerdings in der bürgerlichen politischen Ökonomie wenig finden. Ihr Dogma von den „Selbstheilungskräften des Marktes“ und der „sozialen Marktwirtschaft“ stilisierte den Kapitalismus jahrzehntelang zum Garanten für dauerhaften Wohlstand hoch.

Berauscht von den außerordentlichen Zuwachsraten des weltwirtschaftlichen Aufschwungs urteilte der ehemalige US-Notenbankchef Greenspan 2005, dass „die Wirtschaft auf Schocks in weniger starkem Ausmaß als in früheren Jahrzehnten reagiere“.3 Angesichts ihres zweifelhaften „Erfolgs“ bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit von Schwindel befallen, prognostizierte die Merkel/Steinmeier-Regierung Anfang 2007 von CDU/CSU und SPD noch einen „langanhaltenden Aufschwung bis zum Jahre 2020“. Selbst als die Weltfinanzkrise bereits ausgebrochen war, vermutete Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) darin zunächst ein „amerikanisches Problem“.4 Der damalige Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) phantasierte noch Ende November 2008, als sich die Weltwirtschaft bereits im Sturzflug befand, der Arbeitsmarkt reagiere „robust auf die schlechteren Wirtschaftsdaten“ und eine Steuer- und Abgabensenkung würde die „Wachstumskräfte weiter stärken“.5

Als die Weltwirtschafts- und Finanzkrise von niemandem mehr geleugnet werden konnte, folgte der Selbstgefälligkeit der Selbstbetrug. Hilflos versuchte sich Kanzlerin Angela Merkel in tautologischen** Weisheiten: „Die Selbstheilungskräfte des Marktes können erst wieder voll wirken, wenn die Marktkräfte auch wirklich funktionieren.“6 Kann sich der Markt nun selbst heilen oder funktionieren die Selbstheilungskräfte nur, wenn er gar keiner Heilung bedarf? Von entsprechend hochkarätiger Logik der Kanzlerin sind auch ihre Schlussfolgerungen beseelt:

„Wenn zum Beispiel ein gesundes Unternehmen mit Weltmarktführung für seine Investitionen heute keine Kredite bekommt oder nur Kredite zu Konditionen, die ein rentables Wirtschaften nicht mehr möglich machen, weil die Banken sich untereinander noch nicht richtig vertrauen, dann muss der Markt – das ist unsere politische Aufgabe – wieder funktionstüchtig gemacht werden.“6

Jetzt ist es heraus: Die Selbstheilungskräfte des Marktes funktionieren nicht, weil das Finanzkapital nicht mehr in die eigene kapitalistische Wirtschaftsordnung „vertraut“ und die Banken deshalb niemandem mehr einen Kredit vergeben! Also muss der Staat eingreifen. Zum Teufel also mit den „Selbstheilungskräften des Marktes“!

Der Anschauungsunterricht dieser beispiellosen kapitalistischen Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist – bei allen zerstörerischen Auswirkungen auf die Massen – von unschätzbarem Wert, weil er den Massen vor Augen führt, wie hohl die bürgerliche politische Ökonomie argumentiert. Die Menschen werden nicht vergessen: Es ist gerade nicht der „Markt“, es ist gerade nicht die Befriedigung ihrer ureigenen Bedürfnisse, die die kapitalistische Produktionsmaschinerie vorantreibt, sondern die grenzenlose Gier des internationalen Finanzkapitals nach Maximalprofiten.

Nach Karl Marx muss im Kapitalismus „beständig ein Zwiespalt eintreten zwischen den beschränkten Dimensionen der Konsumtion auf kapitalistischer Basis, und einer Produktion, die beständig über diese ihre immanente Schranke hinausstrebt … Wie könnte es sonst an Nachfrage für dieselben Waren fehlen, deren die Masse des Volks ermangelt?“ (Marx/Engels, Werke, Bd.25, S.267)

Mit gezielter Manipulation über Ausmaß und Ursachen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise sollen die Massen davon abgehalten werden, aus ihren unbestreitbaren Erfahrungen gesellschaftskritische Schlussfolgerungen zu ziehen und für die gesellschaftliche Alternative des echten Sozialismus zu kämpfen. Zu ihrer Beruhigung reduzierten die bürgerlichen Ökonomen die Krise lange Zeit auf die „Finanzkrise“ oder eine „Rezession“. Sie erweckten zudem den Eindruck, diese wäre im Sommer oder allerspätestens im Herbst 2009 bereits ausgestanden. Der verschleiernde Begriff „Rezession“ kennzeichnet lediglich, dass das Bruttoinlandsprodukt in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen sinkt, und ist in der Verharmlosung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklung kaum zu überbieten. Um ihren beschwichtigenden Thesen Nachdruck zu verleihen, begleiteten sie die allgemeine Volksberuhigung mit krisendämpfenden Maßnahmen, die weltweit ihresgleichen suchen. Das sollte dem Normalbürger den Eindruck vermitteln, dass man mit dieser Krise ganz gut leben könne.

Wir werden erleben, wie die Herrschenden ab einem bestimmten Zeitpunkt dazu übergehen werden, den Krisenteufel in übertriebenem Maße an die Wand zu malen, um den Massen die immensen Kosten für das staatliche Krisenmanagement, den Abbau von Lohn, Einkommen und sozialen Errungenschaften erpresserisch abzutrotzen. Bürgerliche politische Ökonomie ist ihrem Wesen nach immer Zweckpropaganda zur Durchsetzung der kapitalistischen Klasseninteressen gegen die Arbeiterklasse.

Nicht zufällig schießen in dieser Zeit der Verunsicherung, des Nachdenkens und Verarbeitens innerhalb der Arbeiterklasse die Blütenträume kleinbürgerlicher Ideologen von einem „krisenfreien“ Kapitalismus ins Kraut. Die Führung der Partei „Die Linke“ brandmarkt den „Casino-Kapitalismus“7, dem man schleunigst seine Spielsucht austreiben müsse. Allen Ernstes fordert einer ihrer führenden Wirtschaftspolitiker, der Bundestagsabgeordnete Axel Troost, „sich das Geld bei den Spekulanten und Aktionären zurückzuholen, die unseren Wohlstands- und Sozialstaat … schamlos ruiniert haben“.7 Das will er aber nicht etwa durch die Enteignung der Produktionsmittel erreichen, sondern indem man „unseren Wohlfahrts- und Sozialstaat“, also die „soziale Marktwirtschaft“ endlich wieder zur Geltung bringen möge. In den 1950er Jahren wehrten sich Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Kommunisten noch entschieden gegen die Einführung des irreführenden Begriffs der „sozialen Marktwirtschaft“ durch die Adenauer-Regierung. Aus gutem Grund, verharmlost und verleugnet er doch die kapitalistische Klassenwirklichkeit! Heute wird eben diese Fata Morgana von einer „sozialen Marktwirtschaft“ zur strategischen Zielsetzung der Linkspartei.

Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ökonomen nehmen zähneknirschend, manchmal auch widerwillig-anerkennend zur Kenntnis, dass die Politische Ökonomie von Karl Marx wieder Hochkonjunktur erlebt. In Anpassung an den allgemeinen Linkstrend unter den Massen erklären sie zuweilen die Analyse des Kapitalismus von Marx für durchaus zutreffend, um sodann flugs seine revolutionären Schlussfolgerungen als utopisch abzutun und weit von sich zu weisen. Der Sozialphilosoph Detlef Horster stellt beispielsweise die absurde Behauptung auf: „Ökonomie und Revolutionstheorie bilden bei Marx keine Einheit, sondern sind zwei verschiedene Gebiete.“8

Diese eklektische Methode, sich aus den Lehren von Marx nur das für die bürgerliche Ökonomie gerade noch Annehmbare herauszupicken, ist lediglich der verschämte Ausdruck der weltanschaulichen Defensive, in die die bürgerliche politische Ökonomie gegenüber dem Marxismus geraten ist.

Zugleich wird in solchen Modeerscheinungen auch deutlich, wie wenig die bürgerlichen Ideologen vom Marxismus begreifen. Der Marxismus ist ein in sich geschlossenes, dialektisch ineinandergreifendes System von Ansichten und Methoden, das sich nicht beliebig auseinanderpflücken lässt, um dann die Einzelbestandteile willkürlich gegeneinander ausspielen zu können.

Karl Marx und Friedrich Engels haben als erste die unlösbaren Widersprüche wissenschaftlich aufgedeckt, die dem Kapitalismus vom Anfang bis Ende innewohnen und daraus die Notwendigkeit seiner revolutionären Ablösung durch die sozialistische Produktionsweise abgeleitet. Der Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion basiert auf der gesellschaftlichen Produktion, die jedoch privat angeeignet wird. Dieser Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Produktivkräften und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen macht sich gesetzmäßig in periodisch auftretenden Krisen Luft, deren vorübergehende Überwindung durch die Bourgeoisie nur darin bestehen kann, neue, tiefere und umfangreichere Krisen vorzubereiten. Objektiv kann die Abschaffung der kapitalistischen Krisen nur durch eine sozialistische Revolution erreicht werden. Nach Marx geraten

„auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung … die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen … Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“(Marx/Engels, Werke, Bd.13, S.9)

Weil unsere linken Kleinbürger nicht vermögen, sich dem Bann der kapitalistischen Profitmacherei zu entziehen, tun sie so, als wäre die gegenwärtige international organisierte Profitmacherei und Spekulation nur ein negativer, willkürlich oder auch besonders böswillig herbeigeführter Auswuchs, den man beliebig beschneiden, dem man also mit Reformen beikommen könne.

Tatsächlich hat der Kapitalismus mit der Neuorganisation der internationalen Produktion eine Entwicklungsstufe erreicht, auf der die gesetzmäßigen, systemimmanenten Exzesse der kapitalistischen Ausbeutung eine solche Dimension angenommen haben, dass sie selbst dem erfolgsorientierten, zugleich humanistisch verklärten Kleinbürger Angst und Schrecken bereiten. Karl Marx und Friedrich Engels zogen aus der historisch überholten kapitalistischen Produktionsweise den Schluss, eine neue, sozialistische Produktionsweise durchzusetzen. Die kleinbürgerlichen Kapitalismus-Kritiker hingegen kommen über ein Lamento über die „soziale Ungerechtigkeit“ auf dieser Welt nicht hinaus. Sie beklagen den „entfesselten Kapitalismus“. Gleichzeitig beschwören sie seine Zähmung, lassen gesellschaftlich alles Wesentliche beim Alten und diffamieren umso vehementer die Marxisten-Leninisten in ihrer konsequenten Systemkritik und ihrer revolutionären Strategie. So bringt die Krise nicht nur das ökonomische, politische und ideologische Desaster der herrschenden Bourgeoisie zum Vorschein, sondern auch die Perspektivlosigkeit, Wankelmütigkeit und theoretische Inkompetenz der kleinbürgerlichen Linken. Sie sind nicht fähig, sich von ihrer staatstragenden Rolle frei zu machen, auch wenn sie sich in diesen ungemütlichen Zeiten durchaus unwohl darin fühlen.