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II. Der Kern des Liquidatorentums ist die Liquidierung des Klassenkampfs und der führenden Rolle des Proletariats

Ist die Einheit der Arbeiter notwendig? Unbedingt. Ist die Einheit der Arbeiter möglich ohne die Einheit der Arbeiterorganisation? Sie ist unmöglich, das ist klar. Was verhindert die Einheit der Arbeiterpartei? Die Streitigkeiten wegen des Liquidatorentums.

Das bedeutet, daß sich die Arbeiter in diesen Streitigkeiten zurecht finden müssen, um selbst zu entscheiden über das Schicksal ihrer Partei und sie zu erhalten.“ (Lenin, Werke, Bd. 19, S. 319)

Ideologisch ist das Liquidatorentum gekennzeichnet durch einen umfassenden Liberalismus gegenüber den ideologischen Grundlagen der Arbeiterbewegung und durch den Angriff auf die Klassiker des Marxismus-Leninismus.

Zunächst hat die KPD/ML Mao Tsetung als Revisionist verschrien. Im Sommer 1979 folgte die „KPD“ und warf Stalin als Klassiker des Marxismus-Leninismus über Bord. Im KB/Nord wird Stalin seit längerem verleumdet. So heißt es in „Thesen zur Stalinfrage“ des KB/N-Organs „Unser Weg“ (31/79): „Ein stalinistisches Gesellschaftssystem wie die UdSSR zur Zeit Stalins … kann nicht als sozialistisch bezeichnet werden.“

Vertreter der sogenannten „Hauptseite Theorie“ aus Bonn stellen sogar den Marxismus-Leninismus insgesamt in Frage: „Das Verständnis ist dabei zu kritisieren, den Marxismus zu einer Weltanschauung, einem abgeschlossenen System oder einem System von Ideen zu machen – und dann auch noch den Leninismus zur höchsten Form zu erklären, zum wissenschaftlichen Sozialismus unserer Zeit. Gerade ein solches Denken muß Gegenstand … der Kritik sein.“ („Bonner Volksblatt“, Nr. 16, S. 7, zitiert in „Aufsätze zur Diskussion“ 1/79)

Der Angriff auf die Klassiker des Marxismus-Leninismus ist nichts anderes als die Negierung der Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus. Mao Tsetung sagte in einer „Rede auf der Landeskonferenz der Kommunistischen Partei Chinas über Propaganda“: „Die Grundprinzipien und die allgemeingültigen Wahrheiten des Marxismus verleugnen – das heißt Revisionismus. Der Revisionismus ist eine Art der bürgerlichen Ideologie. Die Revisionisten verwischen den Unterschied zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus, den Unterschied zwischen der proletarischen und der bürgerlichen Diktatur. Das, wofür sie eintreten, ist in Wirklichkeit nicht die sozialistische Linie, sondern die kapitalistische.“ („Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung“, S. 25)

Verbunden mit den Angriffen auf die Klassiker des Marxismus steht eine kleinbürgerliche Auffassung vom Sozialismus, von der Diktatur des Proletariats. So heißt es in den KB/Nord-„Thesen zur Stalin Frage“: „Wie kann ein Land 'sozialistisch' sein, in dem die Wahrnehmung elementarer Rechte (Kritik) zur 'physischen Liquidierung' führen kann.“ Der Schreiber dieses Artikels begreift nicht, daß es im Sozialismus ebenso keine elementaren demokratischen Rechte an sich geben kann, wie es sie im Kapitalismus nicht gibt.

Lenin schrieb dazu unmissverständlich zum Kummer wohl aller kleinbürgerlicher Sozialisten: „Die Diktatur des Proletariats aber, d. h. die Organisierung der Avantgarde der Unterdrückten zur herrschenden Klasse, um die Unterdrücker niederzuhalten, kann nicht einfach nur eine Erweiterung der Demokratie ergeben. Zugleich mit der gewaltigen Erweiterung des Demokratismus, der z u m e r s t e n m a l ein Demokratismus für die Armen, für das Volk wird und nicht ein Demokratismus für die Reichen, bringt die Diktatur des Proletariats eine Reihe von Freiheitsbeschränkungen für die Unterdrücker, die Ausbeuter, die Kapitalisten. Diese müssen wir niederhalten, um die Menschen von der Lohnsklaverei zu befreien, ihr Widerstand muß mit Gewalt gebrochen werden, und es ist klar, daß es dort, wo es Unterdrückung, wo es Gewalt gibt, keine Freiheit, keine Demokratie gibt.“ (Werke, Bd. 25, S. 475)

Der Marxismus und die kleinbürgerlichen Ideologien sind wie Feuer und Wasser

Marx kämpfte sein Leben lang gegen die kleinbürgerlichen Sozialisten. Der Marxismus und die kleinbürgerlichen Ideologien sind daher wie Feuer und Wasser. Immer wieder werden diese deshalb den Marxismus angreifen müssen, auch wenn sie das hinter den „Grausamkeiten des Stalinismus“ verstecken wollen. Nicht umsonst schreibt Lenin: „Die kleinbürgerlichen Demokraten, diese Pseudosozialisten, die den Klassenkampf durch Träumereien von Klassenharmonie ersetzten, stellten sich auch die sozialistische Umgestaltung träumerisch vor, nicht als Sturz der Herrschaft der ausbeutenden Klasse, sondern als friedliche Unterordnung der Minderheit unter die sich ihrer Aufgaben bewußt gewordene Mehrheit. Diese mit der Anerkennung eines über den Klassen stehenden Staates unzertrennlich verbundene kleinbürgerliche Utopie führte in der Praxis zum Verrat an den Interessen der werktätigen Klassen, …“ (Werke, Bd. 25, S. 415)

Seinen politischen Niederschlag findet die kleinbürgerliche Linie der Liquidatoren in ihrer Kritik am angeblichen Ökonomismus des KABD und der gleichzeitigen Anbetung der kleinbürgerlich-spontanen Bewegung.

Der kleinbürgerliche Intellektuelle Kurz, vor vier Jahren wegen wiederholtem und bewußtem groben Disziplinbruch aus dem RJVD ausgeschlossen, schreibt: „Nicht nur gibt es umgekehrt auch einen bewußten ökonomischen Kampf … vielmehr gibt es erst recht einen spontanen politischen Kampf, weniger häufig und weitreichend als der spontane ökonomische Kampf, aber von der allergrößten Bedeutung für die Entwicklung des Klassenbewußtseins. (Hervorhebung – Verfasser) Vor allem dann, wenn dieser spontane politische Kampf den ewigen Betriebshorizont verläßt …“ („Vorhut oder Nachtrab“, S. 25)

Als „politische Kämpfe“ bezeichnet Kurz die „gegen den § 218 oder neuerdings gegen Atomkraftwerke, gegen die Zerstörung der Natur durch die kapitalistische Profitwirtschaft etc.“ (ebenda, S. 26)

Für Kurz ist es „die Hauptaufgabe der Kommunisten, gerade diese Kämpfe entfalten zu helfen.“ (ebenda, S. 26) Darin kommt die Anbetung der kleinbürgerlich-spontanen Bewegung zum Ausdruck, die angeblich einen „politischen Kampf“ führt. Lenin schreibt dazu: „Jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf – diese berühmten Worte von Marx dürfen nicht in dem Sinne verstanden werden, jeder Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer wäre stets ein politischer Kampf. Sie müssen so verstanden werden, daß der Kampf der Arbeiter gegen die Kapitalisten notwendigerweise in dem Maße politischer Kampf wird, als er zum Klassenkampf wird. Die Aufgabe der Sozialdemokratie besteht eben darin, durch Organisierung der Arbeiter, durch Propaganda und Agitation unter ihnen ihren spontanen Kampf gegen die Unterdrücker in einen Kampf der ganzen Klasse, in den Kampf einer bestimmten politischen Partei für bestimmte politische und sozialistische Ideale zu verwandeln.“ (Werke, Bd. 4, S. 210)

Das ganze Ziel der Verfälschung dessen, was „politischer Kampf“ sei, besteht darin, die Hauptaufgabe nicht als Entfaltung der Kämpfe der Arbeiterklasse zu begreifen, sondern in der Anlehnung an die „reale Bewegung“.

Organisatorisch schlägt sich das Liquidatorentum nieder in einem zunehmenden Zersetzungsprozeß der kleinbürgerlichen ML-Organisationen einerseits und der sich im selben Maße verbreitenden These vom Parteiaufbau durch eine Schulungsbewegung und eine breite Debatte.

Eine besondere Bedeutung hat hier die Strömung „Neue Hauptseite Theorie“, die sich zum Ziel setzt, „den augenblicklichen Zustand der Bewegung“ zu „liquidieren“ (Aussage ihres Chefideologen Karuscheit). Diese Strömung sieht ihre „zentrale theoretische Aufgabe“ in der Aufarbeitung der Geschichte der „ML-Bewegung“. Die „entscheidende praktische Aufgabe“ sieht sie „in der Herstellung der Einheit der Marxisten-Leninisten, die nur durch öffentliche theoretische Debatte über die Ursachen des Scheiterns erreicht werden kann“. („Aufsätze zur Diskussion“, 1/79, S. 4)

Das „Neue“ an dieser Bewegung ist die Heftigkeit, mit der sie sich gegen das Anpacken der praktisch-politischen Arbeit wehrt. „Das Geheimnis löst sich, wenn wir von dem falschen Verständnis der theoretischen Arbeit, das die alte ,Hauptseite Theorie' mit dem Rest der Bewegung teilte, ausgehen. Die theoretische Arbeit hat direkt der Politik zu dienen.“ Sie werfen dem KABD vor, nicht begriffen zu haben, „daß es heute eine wichtigere ,praktisch-revolutionäre' Arbeit gibt, als politische Massenarbeit zu betreiben. Diese wichtigere und im Moment durchaus 'praktisch-revolutionäre Arbeit' ist das Studium des Marxismus-Leninismus und die aktive Teilnahme an der theoretischen Auseinandersetzung.“ („Aufsätze zur Diskussion“, März 79, S. 29/33)

So einfach ist das. Die „Praxis“ wird einfach zur Theorie umfunktioniert, und schon stimmt die dialektische Einheit von Theorie und Praxis, obwohl völlig auf der Hand liegt, daß die „neue Hauptseite Theorie“ nur theoretisch arbeitet.

Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben“

Der Marxismus erkennt die große Bedeutung der Theorie an, und diese Bedeutung fand ihren vollkommenen Ausdruck in der Leninschen These: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“ Aber der Marxismus legt der Theorie darum und nur darum ernste Bedeutung bei, weil sie die Anleitung zum Handeln sein kann.“ (Mao Tsetung, „Über die Praxis“, Ausgewählte Werke Bd. I, S. 361) Aber unsere „Theoretiker“ wollen davon nichts wissen. Sie lehnen die praktische Tätigkeit der Arbeiterbewegung ab.

Die Intellektuellen geben sehr oft ausgezeichnete Ratschläge und Anleitungen, es ist jedoch geradezu lächerlich, absurd, schändlich, wie 'linkisch', wie unfähig sie sind, diese Ratschläge und Anleitungen durchzuführen und eine p r a k t i s c h e Kontrolle darüber zu schaffen, daß das Wort auch zur Tat werde. Hier kann man auf keinen Fall ohne die Hilfe und ohne die führende Rolle der Organisatoren, der Praktiker aus dem ,Volke', aus den Reihen der Arbeiter und werktätigen Bauern auskommen. ,Nicht Götter brennen die Tontöpfe!' Diese Wahrheit müssen sich die Arbeiter und Bauern ganz besonders fest einprägen. Sie müssen begreifen, daß jetzt alles auf die Praxis ankommt, daß gerade jener geschichtliche Augenblick eingetreten ist, wo die Theorie in die Praxis umgesetzt wird, durch die Praxis belebt, durch die Praxis korrigiert, durch die Praxis erprobt wird, wo die Marxschen Worte sich besonders bewahrheiten: ,Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme' – jeder Schritt der praktischen, wirklichen Zügelung und Beschränkung, der restlosen Erfassung und Überwachung der Reichen und Gauner ist wichtiger als ein Dutzend ausgezeichneter Betrachtungen über den Sozialismus. Denn 'grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum'.“ (Lenin, Werke, Bd. 26, S. 411)

Interessanter wird die Frage, wie unsere „Theoretiker“ die „Einheit der Marxisten-Leninisten“ herstellen wollen. Dazu führt Karuscheit aus: „Die eigenständige Organisierung der theoretischen Ausbildung außerhalb und formell unabhängig von der weitergehenden Tätigkeit der Marxisten-Leninisten erscheint uns einmal deswegen angebracht, um sicherzustellen, daß sie auch tatsächlich stattfindet und nicht immer wieder von sonstigen praktischen und politischen Aktivitäten in den Hintergrund gedrängt wird. Außerdem können in einer solchen Gesellschaft Marxisten-Leninisten mit unterschiedlichen Auffassungen zu politischen Fragen zusammenarbeiten, da diese Fragen nicht zum Aufgabenfeld der Gesellschaft gehören. Wir sehen darin einen Schritt zur Einheit der Bewegung.“ („Aufsätze zur Diskussion“, 1/79, S. 24, Hervorhebung – Verf.)

Bereits 1910 hat sich Lenin mit solcherlei Ansichten auseinandergesetzt: Es sind zweierlei Anschauungen über die Bedeutung und die Bedingungen des Zustandekommens überhaupt jeder Parteivereinigung möglich … Die eine Anschauung rückt die 'Versöhnung' der ,gegebenen Personen, Gruppen und Institutionen' in den Vordergrund. Die Einheit ihrer Anschauungen über die Parteiarbeit, über die Linie dieser Arbeit, ist dabei eine zweitrangige Sache. Die Meinungsverschiedenheiten sollen verschwiegen und ihre Wurzeln, ihre Bedeutung und ihre objektiven Ursachen nicht aufgedeckt werden. Die Personen und Gruppen zu ,versöhnen' – das ist die Hauptsache. Wenn sie in der Durchführung einer gemeinsamen Linie nicht einig sind, muß man diese Linie so auslegen, daß sie für alle annehmbar ist. Leben und leben lassen. Das ist das spießbürgerliche ,Versöhnlertum', das unvermeidlich zur Zirkeldiplomatie führt.“ (Werke, Bd. 16, S. 210f.)

Das Konzept der „Hauptseite Theorie“ ist nichts anderes: Nur die Politik weglassen, dann werden wir uns schon einig. Damit verhöhnt Karuscheit jedoch die Prinzipien des Marxismus-Leninismus. Denn Lenin schreibt: Die politische Entwicklung und die politische Organisation der Arbeiterklasse zu fördern – das ist unsere wichtigste und grundlegende Aufgabe. Jeder, der diese Aufgabe in den Hintergrund schiebt, der ihr nicht alle Teilaufgaben und einzelnen Kampfmethoden unterordnet, beschreitet einen falschen Weg und fügt der Bewegung ernsten Schaden zu.“ (Werke, Bd. 4, S. 368)