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Die gesetzmäßige Entwicklung des proletarischen Klassenbewußtseins

Natürlich muß auch die kleinbürgerliche Linke die Frage beantworten, warum die revolutionäre Arbeiterbewegung nach dem II.Weltkrieg in Deutschland einen solchen Niedergang erlebt hat und sich davon erst langsam erholt. Der »Rote Morgen« beantwortet das so:

»Warum ist es (das Proletariat, Stefan Engel) schwach? Das basiert letztlich auf materiellen Faktoren. Tatsache ist, daß es in Deutschland nach dem Krieg lange keine zyklischen Krisen gab.«9

Demnach müßte sich das Klassenbewußtsein der Arbeiter in erster Linie als Folge zyklischer Krisen entwickeln, nach dem Motto: je schlechter es der Arbeiterklasse geht, desto höher ihr revolutionäres Bewußtsein. Offen wird das auch von der DKP vertreten. So referierte Detlef Fricke auf einer DKP-Konferenz zu »150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei«:

»Erst dann, wenn die soziale Not so groß ist, daß die Arbeiterklasse aufgrund politischer Einsichten über die Ursachen der Not in ihren sozialen Kämpfen hart und konsequent auftritt, wird sie den inneren Zusammenhang vom Kampf um soziale und demokratische Rechte voll begreifen ­ und die richtige Antwort darauf geben.«10

Diese Theorien sind völlig wirklichkeitsfremd. Hat sich nicht seit Mitte der 70er Jahre auf der Basis unterschiedlichster ökonomischer Krisen eine wachsende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland herausgebildet, so daß inzwischen 11 Millionen Vollerwerbsarbeitsplätze in Deutschland fehlen? Gibt es nicht bereits in Deutschland wieder eine verbreitete Armut, die in den drei Millionen Sozialhilfeempfängern nur andeutungsweise in Erscheinung tritt? Wieviel »soziale Not« soll denn nötig sein, damit oben beschriebener Automatismus der Entwicklung des Klassenkampfs in Gang gesetzt wird?

Die Auffassungen von KPD (Roter Morgen) und DKP laufen darauf hinaus, daß sich das Klassenbewußtsein als unmittelbare Reaktion auf die Angriffe der Herrschenden entwickelt. Das ist jedoch die Theorie der Anbetung der Spontaneität der Massen, die die große Bedeutung des weltanschaulichen Kampfs für die Fortentwicklung des proletarischen Klassenkampfs leugnet. Lenin weist darauf hin, daß » jede Anbetung der Spontaneität der Arbeiterbewegung, jede Herabminderung der Rolle des bewußten Elements, der Rolle der Sozialdemokratie, zugleich ­ ganz unabhängig davon, ob derjenige, der diese Rolle herabmindert, das wünscht oder nicht ­ die Stärkung des Einflusses der bürgerlichen Ideologie auf die Arbeiter bedeutet.«11

Die bürgerliche Gesellschaft fußt auf der Wirkung eines Systems von Gesetzmäßigkeiten. Diese kommen vermittels der Denkweise der Menschen zur Wirkung. Deshalb kann die bürgerliche Gesellschaft auch nur durch die vorherrschende bürgerliche Weltanschauung im Kampf gegen die proletarische Weltanschauung funktionieren. Jede Weltanschauung umfaßt jeweils Theorie und Methode als dialektische Einheit. Der weltanschauliche Kampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat findet innerhalb der Arbeiterbewegung als Kampf zwischen der proletarischen und der kleinbürgerlichen Denkweise seinen Niederschlag. In der proletarischen Denkweise kommt die Einheit von Theorie und Methode des Marxismus-Leninismus zum Ausdruck, in der kleinbürgerlichen Denkweise die Theorie und Methode bestimmter Formen der bürgerlichen Ideologie. Das Besondere an der kleinbürgerlichen Denkweise ist, daß sie sich scheinbar der proletarischen Denkweise anpaßt, sich bestimmte einzelne proletarische Inhalte und Formen zu eigen macht. Das macht sie so schwer erkennbar und ermöglicht es ihr, tiefer in das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der Massen Eingang zu finden. Durch die Politik der Reformen von oben in den 60er und 70er Jahren und die massenhafte Entstehung kleinbürgerlicher Familienverhältnisse haben sich die Lebensverhältnisse zwischen den kleinbürgerlich-intellektuellen Zwischenschichten und der Arbeiterklasse tendenziell angenähert. Das war die materielle Grundlage für das tiefe Eindringen der kleinbürgerlichen Denkweise in die Arbeiterbewegung.

Das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse wird sich nur in dem Maße entwickeln, wie sie mit der kleinbürgerlichen Denkweise fertig wird. Das ist das objektive Gesetz, das der Entwicklung des proletarischen Klassenbewußtseins unter den heutigen Bedingungen des Klassenkampfs zugrunde liegt.

Die Monopole nutzen das gesellschaftlich organisierte System der kleinbürgerlichen Denkweise als zentrales Kampfmittel, um die Arbeiterbewegung zu desorientieren, zu desorganisieren und zu demoralisieren. Eine seiner Hauptmethoden ist die Manipulierung der öffentlichen Meinung. Dabei werden heute nicht einmal in erster Linie Informationen vorenthalten oder nur Desinformation betrieben, die mit Enthüllungen beantwortet werden müßten usw. In der psychologischen Kriegführung im Zusammenhang mit dem NATO-Krieg in Jugoslawien wird vor allem eine bestimmte kleinbürgerliche Logik vermittelt. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diesen Krieg moralisch ab. Den Herrschenden ist es auch relativ klar, daß sie die Massen nicht offen für ihre imperialistischen Ziele gewinnen können. Systematisch wird das Denkmuster ausgeben:

»Irgendwas muß man ja gegen die ethnischen Vertreibungen Milosevics im Kosovo tun.« Die offene militärische NATO-Aggression soll wie das kleinere Übel erscheinen. Für diejenigen, die sich dennoch gegen den Krieg aussprechen, wird der pazifistische Leitsatz verbreitet: »Krieg darf kein Mittel der Politik sein«, damit sie sich nicht für den aktiven Widerstand einsetzen. Es ist aber ein unverrückbares Gesetz, daß der Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Wenn man den imperialistischen Krieg bekämpfen will, dann muß man auch die Politik bekämpfen, zu deren Verwirklichung dieser Krieg geführt wird. Alles andere läuft auf eine Unterstützung der Herrschenden hinaus.

Ohne die von der psychologischen Kriegführung vermittelte Logik bzw. Denkweise zu durchbrechen, werden unsere politischen Inhalte usw. nur als eine zusätzliche Information in die herrschenden Denkmuster integriert. Geradewegs geleugnet wird diese Notwendigkeit aber von einer dogmatischen Richtung in der Arbeiterbewegung, die zum Teil leider auch in die Agitation und Propaganda der MLPD Eingang finden konnte. Nach ihr entsteht und entwickelt sich das Klassenbewußtsein ausschließlich durch Hineintragen marxistisch-leninistischer Theorie in die Arbeiterbewegung. Aufgrund der proletarischen Klassenlage und des objektiv stattfindenden Klassenkampfs entsteht sehr wohl ein bestimmtes Klassengefühl, ein Klasseninstinkt bis hin zur ersten Stufe des Klassenbewußtseins, z.B. dem gewerkschaftlichen Bewußtsein. Natürlich reichen die spontanen Erfahrungen nicht aus für ein entwickeltes sozialistisches Bewußtsein. Aber sie sind die Grundlage, auf der sich in Verbindung mit der marxistisch-leninistischen Überzeugungsarbeit ein entwickeltes sozialistisches Bewußtsein heranbilden kann. Für die Entwicklung des proletarischen Klassenbewußtseins ist das dialektische Zusammenwirken von zwei Faktoren ausschlaggebend: die proletarische Klassenlage und die praktischen Kampferfahrungen im Klassenkampf als materielle Grundlage und die proletarische Weltanschauung als ideologische Grundlage. Der REVOLUTIONÄRE WEG 26 stellt hierzu zusammenfassend fest:

»Praktische Kampferfahrungen der Massen und theoretische Grundkenntnisse sind die zwei unverzichtbaren Grundlagen, die nur in ihrer dialektischen Wechselwirkung ein entwickeltes Klassenbewußtsein hervorzubringen vermögen. Nur mit einer proletarischen Denkweise ist es möglich, praktische Kampferfahrungen bewußt mit der marxistisch-leninistischen Theorie zu durchdringen und so das Bewußtsein der Arbeiterklasse mit der sich stets verändernden objektiven Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.«12