Das Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaften im Sozialismus und im staatsmonopolistischen Kapitalismus neuen Typs
Um das Verhältnis zwischen der proletarischen Partei und den Gewerkschaften im Sozialismus anschaulich darzulegen, benutzte Lenin einmal das bekannte Beispiel von dem „Transmissionsriemen“. Darauf berufen sich auch die Revisionisten – aber völlig zu Unrecht, wie wir sehen werden. Zuerst Lenin:
„Wie die beste Fabrik mit einem ausgezeichneten Triebwerk und erstklassigen Maschinen stillstehen wird, wenn der Transmissionsmechanismus zwischen dem Triebwerk und den Maschinen nicht funktioniert, so ist eine Katastrophe unseres sozialistischen Aufbaus unvermeidlich, wenn der Transmissionsmechanismus zwischen der Kommunistischen Partei und den Massen – die Gewerkschaften – falsch aufgebaut ist oder nicht richtig funktioniert.“ (Beschluß des ZK der KPR(B) vom 12. Januar 1922, Ausgewählte Werke Bd. III, S. 752)
Lenin ging von einer korrekten marxistischen Partei aus. In diesem Fall sind die Gewerkschaften eine „Schule des Kommunismus“, die die Aufgabe hat, immer breitere Bevölkerungsschichten an die praktische Leitung des Staates heranzuführen. In diesem Fall wäre die Losung einer „unabhängigen Gewerkschaft“ reaktionär, weil sie zum Ausdruck bringt, daß hier eine Gewerkschaft in Gegnerschaft zu den Interessen des Proletariats angestrebt wird. In Polen aber handelt es sich um eine revisionistische Partei, eine Partei der neuen Bourgeoisie. Damit wandeln sich die Gewerkschaften in „Schulen des Revisionismus“. Sie werden damit zu Kontrollorganen der Bürokraten über die Arbeiter zur Niederhaltung des Klassenkampfs und zur Organisierung der Ausbeutung; anstatt umgekehrt ein Kontrollorgan gegenüber den Funktionären zu sein.
In einer solchen Situation die Anbindung der Gewerkschaften an einen bürgerlichen Staat zu fordern, ist reaktionär, während dann die Losung nach „freien Gewerkschaften“ wie in Polen zu einer fortschrittlichen, zu einer demokratischen Forderung wird, die eine Gewerkschaft als wirkliche Kampforganisation zum Ziel hat.
Nachdem nun die polnischen Arbeiter die „alten Gewerkschaften“ der Revisionisten zu Millionen verlassen haben, sehen sich die Revisionisten nachträglich selbst dazu genötigt, das jahrelang aufgebauschte Bild von den „Gewerkschaften der Arbeiterklasse“ anzukratzen. Der Bonner Korrespondent der polnischen Tageszeitung „Zycie Warszawy“ Ramotowski zeichnete folgendes Bild von der „Arbeit“ der Gewerkschaften:
„Kommen wir zur Rolle der Gewerkschaften. Wie vertraten sie bislang die Interessen der Arbeiter? Es gab in Polen bis vor kurzem zwar 1,5 Mio. Gewerkschaftsfunktionäre (natürlich in ihrer Mehrheit ehrenamtlich), aber die gewerkschaftlichen Aktivitäten hielten sich in Grenzen (sehr vorsichtig ausgedrückt – die Red.). Zugespitzt formuliert: Man sah in den Gewerkschaften vor allem die 'Versorgungsgesellschaft', die 'Sozialfürsorge für kleine Dinge'. Im Herbst haben sich die Gewerkschaften z. B. für ihre Betriebsbelegschaften auf dem Lande nach preiswerten Äpfeln umzusehen.“ (Aus: „Blätter für deutsche und internationale Politik“ Nr. 10/80, S. 1189)
Das nennt man an den Sorgen und Nöten der Massen meilenweit vorbeizuschießen.
Die DKP-Führung ist nicht mehr in der Lage, allein schon wegen den bis heute bekannt gewordenen Einzelheiten über das Treiben der polnischen Gewerkschaftsführer, dies vor ihren Mitgliedern zu rechtfertigen. In der Broschüre „Polen und wir“ schreibt Willi Gerns, Mitglied des Präsidiums der DKP:
„Nach unseren programmatischen Vorstellungen werden die Einheitsgewerkschaften in einer sozialistischen Bundesrepublik eine maßgebliche Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielen. Diese Aussage könnte jetzt von Gewerkschaftskollegen bezweifelt werden, nachdem Informationen über die bisherige Arbeit der polnischen Gewerkschaften bekannt werden, die nicht diesem Bild entsprechen.“ (S. 19)
Und Gerns stellt die Frage: „Was sollen wir dazu sagen?“
Als Antwort empfiehlt er seinen Mitgliedern:
„Die Rechte, die die polnische Gewerkschaften bisher hatten, entsprächen dann aber auch nicht denjenigen Rechten, die die Gewerkschaften in der DDR und anderen sozialistischen Ländern bereits haben.“ (S. 20)
In Polen schlecht – in der DDR gut, das ist doch etwas zu plump. Heißt das dann, daß in Polen die sozialistischen Prinzipien nicht Realität sind, wohl aber in der DDR? Warum hat dann die DKP-Führung in der Vergangenheit nicht die Verletzung der Prinzipien in Polen kritisiert? Dazu wäre z. B. auf dem VIII. Parteitag der polnischen revisionistischen Partei vor einem Jahr eine gute Gelegenheit gewesen, wo doch H. Gautier, der stellvertretende Vorsitzende der DKP, die Delegation leitete. Aber statt dessen schmierte er den polnischen Revisionisten Honig ums Maul:
„Es ist für uns deutsche Kommunisten eine große Genugtuung und eine Quelle von Kraft, in den polnischen Kommunisten gute Freunde zu haben.“ („UZ“ – Zeitung der DKP vom 16.2.80)
Jetzt ist plötzlich aus der „Quelle von Kraft“ eine Quelle der Probleme geworden, der man sich möglichst schnell entledigen möchte.
Und wenn angeblich so viel Unterschied zwischen den polnischen Gewerkschaften und dem FDGB der DDR bestehen soll, wie will dann Gerns erklären, daß eben dieser FDGB während des Streiks der Reichsbahner in Westberlin die Arbeit als Terroristen beschimpfte und selbst mit Terrormaßnahmen gegen die Streikenden vorging?