9.
Die offene Krise der Europäischen Union
Eine knappe Mehrheit der britischen Bevölkerung stimmte im Juli 2016 gegen die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU, was eine tiefe offene politische Krise der Europäischen Union ausgelöst hat. Das ist eine schwere historische Niederlage des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals.
Der Austritt Großbritanniens als zweitgrößte Wirtschaftsnation der EU verschlechtert die weltweiten Konkurrenzbedingungen des EU-Imperialismus zugunsten der USA und der neuimperialistischen Länder. Dem politischen Vereinigungsprozess der EU wurde vorerst ein jähes Ende gesetzt. Die Expansion des deutschen Imperialismus wiederum ist wesentlich abhängig vom Voranschreiten dieses europäischen Einigungsprozesses. Während Deutschland ökonomisch das stärkste imperialistische Land der EU ist, ist Großbritannien die stärkste militärische Kraft. Damit platzten auch die Träume von einer unaufhaltsamen militärischen Stärkung der EU im Rahmen der NATO.
In einer monatelangen Medienkampagne wurde in Großbritannien, aber auch hier in Deutschland, eine verzerrte Polarisierung unter den Massen erzeugt. So wurde eine Scheinalternative aufgebaut, wonach sich die Massen zwischen vermeintlich reaktionären nationalistischen Befürwortern des Brexit und den vermeintlich fortschrittlichen, internationalistischen EU-Anhängern zu entscheiden hätten.
In Wahrheit waren Brexit-Gegner wie Brexit-Befürworter gespalten. Weder waren die Brexit-Gegner in ihrer Mehrheit Anhänger des EU Imperialismus, noch kann man die Brexit-Befürworter mit der Massenbasis ultrareaktionärer Strömungen gleichsetzen. Zu ihnen gehörte zum Beispiel eine starke Bewegung unter den Linken und Gewerkschaften, die aus Protest gegen Niedriglöhne, Beschneidung von Gewerkschaftsrechten, die EU-Flüchtlingspolitik usw. für den Brexit aufgerufen hatte.
Auch die MLPD lehnt die EU als ein imperialistisches Machtbündnis prinzipiell ab und hat entsprechend bei den letzten Europawahlen die Losung ausgegeben: „Rebellion gegen die EU ist gerechtfertigt!“ Wir hatten diese Losung unter anderem damit begründet, dass wir die Kritik an der EU nicht den Ultrarechten und Faschisten überlassen dürfen. In Bezug auf die Alternative für oder gegen den Brexit wäre es richtig gewesen, einen unabhängigen Standpunkt einzunehmen und sich bei der Abstimmung nicht auf die bürgerliche Scheinalternative für oder gegen den Brexit einzulassen.
Aus der Geschichte wissen wir: Die revolutionäre Taktik kann nur richtig sein, wenn sie auch die subjektiven Faktoren beachtet, mit welchem Motiv bestimmte Entscheidungen getroffen oder auch begründet werden.
(Eröffnungsrede des damaligen Parteivorsitzenden Stefan Engel zum X. Parteitag der MLPD)