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Vereinigte Staaten von Europa?

1915 schrieb Lenin in seinem Artikel »Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa«:

»Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d. h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die ›fortgeschrittenen‹ und ›zivilisierten‹ Kolonialmächte, sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär.« (Lenin, Werke, Bd. 21, S. 343)

Der Prozess der Vereinigung Europas ist relativ weit fortgeschritten. Auch wenn er sich unter humanistischen Parolen vollzieht und vorgibt, dem Wunsch der Massen nach »Aussöhnung der Länder Europas« gerecht zu werden, die EU bleibt ein reaktionäres Bündnis imperialistischer Länder, in dem kein anderes Prinzip gilt als das der Macht: Unterordnung der schwächeren europäischen Länder unter die starken, Austragung der erbitterten Konkurrenz zwischen den imperialistischen Ländern, Bündelung der Macht für den internationalen Konkurrenzkampf gegen die imperialistischen Rivalen USA und Japan, gemeinsame Verschärfung der Ausbeutung der Arbeiterklasse und der breiten Massen in der EU und Unterwerfung der Mehrheit der Länder der Welt unter das Diktat des Neokolonialismus.

Die Neuorganisation der internationalen Produktion übte einen unwiderstehlichen Zwang auf die europäischen Imperialisten aus, ihr Bündnis ökonomisch auszubauen und ihm mehr und mehr politischen Charakter zu geben. Trotz aller innerer Widersprüche ist es durchaus möglich, dass sich die EU weiter in ihrer imperialistischen Konkurrenz gegenüber den USA und Japan festigt. Dieselbe Konkurrenz jedoch, die die europäischen Imperialisten dazu treibt, ein Bündnis einzugehen, verhindert zugleich, dass sie ihren Anspruch auf Macht über andere aufgeben und sich in friedliche und demokratische »Vereinigte Staaten von Europa« auflösen.

(Stefan Engel: Götterdämmerung über der »neuen Weltordnung«, Revolutionärer Weg Nr. 29–31/2003, S. 362/363)



Die globalen und regionalen Strategien des internationalen Finanzkapitals, welche Varianten auch immer verfolgt werden, haben grundlegende strategische Schwächen und sind letztlich zum Scheitern verurteilt.

Erstens zielen sie weder darauf ab, noch sind sie imstande, die allgemeine Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems zu überwinden. Dazu müssten die internationalen Produktivkräfte von den Fesseln der kapitalistischen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse befreit werden, was die Imperialisten aber um jeden Preis verhindern wollen. Solange ihnen das gelingt, wird die allgemeine Krisenanfälligkeit und Fäulnis des imperialistischen Weltsystems weiter zunehmen und ihre Herrschaft unterhöhlen.

Zweitens gehen die strategischen Pläne insbesondere der EU-Imperialisten von der illusionären Annahme aus, dass die Widersprüche im Kampf um die Weltherrschaft zwischen den Imperialisten, vor allem den USA und der EU, dauerhaft versöhnt und gegenüber China, Russland usw. unter Kontrolle gehalten werden könnten. Konkurrenz und ungleichmäßige Entwicklung der imperialistischen Länder verschärfen aber den Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Die allgemeine Kriegsgefahr führt zu ökonomischen Vernichtungsschlachten und zur Militarisierung der Gesellschaft.

Drittens: An je mehr Fronten die Imperialisten gebunden sind, desto mehr reiben sie ihre Kräfte auf; außerdem verlieren sie vor den Massen moralisch ihr Gesicht. Der verstärkte Einsatz staatlicher Gewalt untergräbt die Wirkung der pazifistischen und kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise unter den Massen und klärt ihr Verhältnis zu revolutionärer Gewalt.

Die Opportunisten leugnen die wachsende Labilität des imperialistischen Herrschaftsgefüges und gehen vor der vermeintlichen Allmacht der Imperialisten in die Knie. Erst wenn die Massen mit solchen Vertretern der Kapitulation und Unterwerfung in den eigenen Reihen fertig werden, können sie sich für den revolutionären Befreiungskampf entscheiden. Der echte Sozialismus kann nicht durch Versöhnung der Klassenwidersprüche erstritten werden. Vielmehr muss die Arbeiterklasse erkennen, dass sich die Widersprüche unvermeidlich verschärfen, und die Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems für den Sieg der internationalen Revolution nutzen.

(Stefan Engel: Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution, Revolutionärer Weg Nr. 32–34/2011, S. 187/188)