Die Atomkatastrophe war vollständig vorhersehbar
Am 11. März 2011 erlebt Japan um 14:46 Uhr das schwerste Erdbeben seiner Geschichte. Das Zentrum des Bebens liegt nah an der Küste und löst eine Tsunami-Flutwelle aus.Wenige Minuten später bricht sie teilweise über zehn Meter hoch über Japans Küste herein. Während in Europa (6:46 Uhr MEZ) viele noch schlafen, verlieren über 27.000 Menschen in Japan ihr Leben. 400.000 Menschen werden obdachlos unter zum Teil katastrophalen Zuständen.
Wenige Stunden später schwirren Meldungen über Schäden an japanischen Atomkraftwerken (AKW) über die Nachrichtenticker. Beschädigungen an den angeblich sichersten AKWs der Welt? Während sich Milliarden Menschen noch verwundert die Augen reiben, überschlagen sich die Ereignisse.
Die tödliche Gefahr einer oder mehrer Kernschmelzen und austretende Radioaktivität beunruhigen die Menschen weltweit.
Schlagartig kehren die 25 Jahre alten Schreckensbilder der Atomkatastrophe von Tschernobyl ins gesellschaftliche Bewusstsein zurück. Damals war in der Sowjetunion ein Atomreaktor explodiert. Noch heute sterben deshalb Tausende an Strahlenkrebs, herrscht eine 30-prozentige Unfruchtbarkeit und viele Kinder werden mit Missbildungen geboren. Bis heute läuft dort unaufhaltsam die Kernschmelze unter einem Betonsarkophag, der zunehmend porös wird.
In Japan ist nicht einer, sondern sind zeitweise mindestens zehn Reaktoren in fünf Atomkraftwerken betroffen. In den folgenden Tagen ereignen sich Brände und Explosionen vor allem in Reaktoren des AKW Fukushima I. Dort befinden sich in vier zerstörten Reaktorkernen 1.496 Brennelemente. Weitere 10.149 Brennelemente lagern außerhalb in Abklingbecken und Trockenlagern. Damit könnten über 2.000 Tonnen radioaktiven Materials – ein mehrfaches von Tschernobyl (190 Tonnen) – in die Umwelt freigesetzt werden.
Darunter sind mindestens 6,5 Tonnen Plutonium – ein höchstgiftiger, tödlicher und Atomwaffen tauglicher radioaktiver Stoff. Am 24. März verdichten sich Hinweise, dass neben bereits nachgewiesenem radioaktiven Cäsium und Jod, auch Plutonium aus dem Reaktor 3 in Fukushima I austritt. Ende März besteht darüber grausame Gewissheit.
Drei Wochen nach der Katastrophe ist in keiner Weise absehbar, in welchem Umfang das radioaktive Material austritt und wie die Situation überhaupt unter Kontrolle gebracht werden kann. Regierung und der japanische Betreiber-Konzern Tepco leugnen tagelang den Beginn der Kernschmelze und verzögern so die notwendige großflächige Evakuierung.
In wenigen Tagen steigt die Radioaktivität bereits Hunderte Kilometer entfernt an. So soll seit dem 24. März Babynahrung im 240 Kilometer entfernten Tokio nicht mehr mit Leitungswasser zubereitet werden. Am 22. März wird in zehn japanischen Bezirken mit 48 Millionen Einwohnern zum Teil hundert- bis tausendfach erhöhte Radioaktivität festgestellt. Schiffe, die Fukushima in 120 Kilometer Entfernung passiert haben, sind heute so verstrahlt, dass sie chinesische Häfen nicht anlaufen dürfen.