Broschüre
Lenin, der geniale Führer des Proletariats
Lenin war ein genialer Organisator der Revolution und Führer der Massen. Lesenswert für alle, die sich für eine Beurteilung durch einen revolutionären Arbeiter interessieren und sich ein eigenes Urteil über die Person von Lenin machen wollen.
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Lenin hat uns selber die Waffe des Kampfes gegen den Revisionismus, Reformismus und Opportunismus gegeben: seine Prinzipientreue und Prinzipienfestigkeit. Die Grundsätze des Marxismus waren für ihn unanfechtbar; trotzdem betrachtete er den Marxismus nicht als Dogma. Als sich nach dem Tode von Marx und Engels der Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Monopolkapitalismus, zum Imperialismus entwickelte, hat Lenin dieser veränderten Situation Rechnung getragen und den revolutionären Kampf des Proletariats den neuen Bedingungen angepaßt und die Theorie des Marxismus weiterentwickelt. Lenins theoretisches Werk bedeutet keine Veränderung des Marxismus, sondern seine Weiterentwicklung und Bereicherung.
Die Revisionisten aller Schattierungen verkündeten wohl den Marxismus in Worten, aber sie waren weder fähig noch willens, ihn in die Tat umzusetzen. Lenin führte unerbittlich den Kampf gegen jede Abweichung vom Marxismus. In scharfen Worten verurteilte er die Auffassung der Ökonomisten, der Menschewisten und Liquidatoren. Als die Revisionisten vorübergehend die Mehrheit in der Partei hatten, wandte sich Lenin gegen diese Mehrheit. Er, der stets die Mehrheit in der revolutionären Partei achtete, schätzte die Prinzipien des Marxismus höher ein als die formale Einheit, die keine prinzipielle Grundlage hatte. Die Spaltung der Partei 1903 in einen bolschewistischen (Mehrheit) und einen menschewistischen (Minderheit) Flügel war das Ergebnis einer prinzipiellen Auseinandersetzung zur Verteidigung des Marxismus durch Lenin und seine Anhänger.
Der Menschewismus beinhaltet eine Politik der kleinbürgerlichen Intellektuellen und kleinbürgerlichen Schichten. Lenin kämpfte prinzipienfest gegen die verschwommene Politik der kleinbürgerlichen Intellektuellen und deren laschen Organisationsbrei, die im Grunde die Arbeiterpartei zu einem Anhängsel der liberalen Bourgeoisie machen wollten.
Als von 1909 bis 1911 die zaristische Konterrevolution wütete, waren es meist die kleinbürgerlichen Intellektuellen, die die Partei fluchtartig verließen und sie liquidieren wollten. Lenin wandte sich prinzipiell gegen die Liquidatoren und sammelte die zersplitterten Arbeitergruppen erneut zu einer festen Organisation und vollzog, ohne zu zögern, die organisatorische Trennung von der menschewistischen Fraktion. Lenin war durchdrungen von dem Gedanken, daß nur eine prinzipienfeste Arbeiterpartei die Massen zum Siege führen kann.
Die Kraft, die Lenin im prinzipiellen Kampf gegen alle Feinde des Volkes so siegessicher machte, war sein tiefer Glaube an die Massen des werktätigen Volkes. Die kleinbürgerlichen Intellektuellen haben im Grunde Furcht vor den Massen, weil sie sie nicht verstehen, weil sie ihnen fremd sind, weil sie sich nicht mit ihnen verbunden fühlen. Lenin war auch Intellektueller, aber er hat sich mit den Massen verbunden, er wurde zu einem Teil der Arbeiterklasse, die als fortschrittlichste und führende Klasse allein fähig ist, die menschliche Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Als junger Revolutionär stellte sich Lenin die Frage, wie die Befreiung der Arbeiterklasse möglich sei. Die Antwort hat er durch das Studium des Marxismus erhalten. Aber er ist nicht an Marx herangegangen, um sich mit Buchwissen vollzustopfen, sondern um Antwort auf dringende Fragen seiner Zeit zu erhalten. Und er hat sie erhalten. Mit dieser marxistischen Erkenntnis trat er vor die Arbeiter. Das war 1893, als er nach Petersburg ging, wo er seine revolutionäre Tätigkeit unter den Arbeitern begann. Seine ersten literarischen Arbeiten waren Flugblätter über die Lage der Arbeiter, die damals unter furchtbaren Bedingungen ausgebeutet wurden.
Lenin war mit den Arbeitern eng verbunden. Kein anderer Intellektueller konnte so in die Gedankenwelt der Arbeiter, die vielfach noch einen bäuerlichen Einschlag hatten, eindringen wie Lenin. Er bemühte sich, ständig aus den fortgeschrittensten Arbeitern künftige Führer der russischen Revolution zu machen. Die Arbeiter und Bauern verloren vor Lenin jede Scheu, und sie berichteten ihm über alle Einzelheiten ihres schweren Lebens. Aber Lenin war nicht nur ein guter Zuhörer, sondern er verstand es, sich so in die Gedankenwelt eines jeden Werktätigen hineinzuversetzen, daß deren Gedanken und seine Gedanken ineinander übergingen. So wurde er zu einem Teil der Arbeiterklasse; die Welt der Arbeiter wurde seine Welt.
Wie war es möglich, daß die einfachen Arbeiter und Bauern ein so grenzenloses Vertrauen zu Lenin hatten, daß sie ihn trotz seiner geistigen Überlegenheit als einen der Ihren ansahen? Weil seine Bescheidenheit, seine persönliche Schlichtheit jeden tief beeindruckte, der mit ihm in Berührung kam. Ihm war jegliche Überheblichkeit fremd. Die Massen glaubten an ihn, wie er an die Massen glaubte.
Marxistische Prinzipienfestigkeit und unerschütterlicher Glaube an die Massen – das war die Grundlage, die Lenin zum hervorragenden Führer der Arbeiterklasse und aller werktätigen Schichten machte. Er verband das Große mit dem Kleinen. Er erstrebte die Macht für die Arbeiterklasse, weil er das Proletariat als die grundlegende Kraft der Revolution erkannte. Darum betrachtete Lenin den Moskauer Aufstand des Jahres 1905 als ein Ereignis von großer historischer Bedeutung. Seine Schrift »Die Lehren des Moskauer Aufstandes« ist auch heute noch von großer Wichtigkeit. Während die Menschewisten lamentierten: »Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen«, erklärte Lenin voll geballter Energie: »Im Gegenteil, man hätte entschlossener, energischer und offensiver zu den Waffen greifen, hätte den Massen die Unmöglichkeit eines bloß friedlichen Streiks und die Notwendigkeit eines furchtlosen und rücksichtslosen bewaffneten Kampfes klarmachen müssen.«
Immer wieder mußte die Arbeiterklasse in ihrem Kampf Niederlagen einstecken. Wenn Niedergeschlagenheit um sich griff, ermunterte Lenin die Arbeiter: »Laßt euch nicht unterkriegen durch Niederlagen, auf die letzte Niederlage folgt der Sieg!« Er war die Seele der Avantgarde des Proletariats. Seine wesentliche Tätigkeit richtete sich darauf, aus der Arbeiterklasse die ergebensten Söhne für die Sache der Befreiung, die fähigsten, ehrlichsten und entschlossensten für die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse zu gewinnen, zu entwickeln, ihr Klassenbewußtsein zu heben und zu stärken.
Lenin war der geniale Organisator der proletarischen Revolution. Ein Führer der Arbeiterklasse muß eine umfassende Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung, des Klassenkampfes und der Theorie der Arbeiterklasse haben, so wie ein Feldherr die Geschichte der Kriege und der Militärstrategie beherrschen muß. Die Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung setzt aber die Kenntnis der Geschichte und der Theorie des Kapitalismus voraus. Lenin beherrschte beides in hervorragender Weise.
Lenin hat den Marxismus bis in die Tiefe studiert und durchdacht. Aber Lenin war kein Stubengelehrter, sondern stand mitten in der Wirklichkeit des Klassenkampfes in Rußland. Die enge Verbindung von Theorie und Praxis – nicht als starre Einheit, sondern als dialektischer Prozeß – befähigte Lenin, die allgemeine Strategie der Arbeiterbewegung in konkreter Weise in der russischen Revolution zu verwirklichen. Bei der Umsetzung der Strategie der Arbeiterbewegung, der Theorie des Marxismus, in die revolutionäre Praxis wandte Lenin eine ungewöhnliche Überzeugungskraft an. Seine Beweisführung war einfach und klar, von unüberwindlicher Logik. Ihm waren effektvolle Phrasen fremd. Jeder, auch der einfachste Arbeiter und Bauer, verstand Lenin.
Wenn Lenin vor der Lösung einer großen Aufgabe stand, dachte er nicht an irgendwelche abstrakte Kategorien, sondern an die Menschen. Er stellte sich vor, wie sie konkret reagieren würden, das heißt wie eine bestimmte Maßnahme auf sie wirken würde. Danach richtete er die Taktik des Kampfes aus, wobei er die Fähigkeit und den Mut besaß, eine taktische Maßnahme, die gestern entsprechend der Situation angebracht war, sofort zu verwerfen, wenn durch die sich ändernde Wirklichkeit neue Maßnahmen notwendig wurden. Im Laufe des Kampfes setzte er sich Ziele, die haargenau der Wirklichkeit entstammten.
Lenin entwarf nicht nur den Feldzugsplan, der logisch durchdacht war, sondern auch die Organisation zur Durchführung dieses Plans. Dabei beachtete er jede geringste Einzelheit, jede scheinbar unwichtige Kleinigkeit. Er griff kühn an, wenn die Stunde es erforderte, aber er zog sich rechtzeitig zurück, wenn die Situation ihn dazu zwang, um sich ohne große Opfer auf neue Angriffe vorzubereiten. Besonders durch Gefahren, die die Revolution bedrohten, entfaltete sich Lenins Genie. Seine schöpferischen Kräfte wurden angespornt, seine Geistesgegenwart, seine Schlauheit konzentrierten sich gegen die Feinde der Arbeiterklasse. So führte er die Partei mit fester Hand, mit Kaltblütigkeit und Mut. Er verabscheute Panikstimmung, Verwirrung und Zerfahrenheit.
Lenin verwarf abstrakte Formeln, seine Taktik war beweglich, kühn und voller Risiko. Auch die Oktober-Revolution 1917 war ein großes Risiko, besonders deshalb, weil der Aufstandsplan kurz vorher von Sinowjew und Kamenew verraten worden war. Trotzdem scheute Lenin das Risiko nicht, weil er mit hellsichtigem Blick erkannte, daß der bewaffnete Aufstand unvermeidlich war und dem Kräfteverhältnis entsprechend siegen würde. Lenins Fähigkeit, die herannahenden Ereignisse in ihrer inneren Entwicklung rasch zu erfassen, sein Scharfblick zu erkennen, was jeweils getan werden mußte, machte ihn zu dem genialen Organisator der proletarischen Revolution.
Sein Vermächtnis, den Prinzipien der internationalen Arbeiterbewegung die Treue zu bewahren und den Glauben an die Massen nie zu verlieren, muß allen Revolutionären heilige Verpflichtung sein, mögen die Feinde der Arbeiterklasse auch noch so geifern, mögen sie den Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen noch so sehr verunglimpfen und bekämpfen.
Lenin zeichneten besondere Fähigkeiten aus, die ihn zum genialen Führer der Arbeiterklasse machten. Die Grundlage dafür bildete sein Elternhaus, in dem wichtige Charakterzüge Lenins, seine Willensstärke und Unbeugsamkeit, wurzeln. Dort wurde er zur Achtung vor den einfachen werktätigen Menschen erzogen. Eine besondere Rolle spielte dabei die Mutter Lenins. Ausführlich beschreibt das die Broschüre von R. Kownator »Die Mutter Lenins«, erschienen 1945 in deutscher Sprache in Moskau, aus der wir Auszüge bringen.
Viele seiner ausgeprägtesten Charakterzüge – die unbeugsame Willenskraft, die außergewöhnliche Ausdauer, die unversiegbare Lebensfreude – erbte Lenin von seiner Mutter, Maria Uljanowa, einer Frau von höchsten sittlichen Eigenschaften, die einen großen, sehr harten Lebensweg zurückzulegen hatte. Lenins Mutter gehörte zu jenem edlen und aufrechten Menschenschlag, den keine noch so schweren Schicksalsschläge zu brechen oder zu beugen vermögen.
Nicht nur zärtlichste Mutterliebe, sondern auch innige Freundschaft und echte Kameradschaft verband Maria Uljanowa mit ihren revolutionären Kindern, insbesondere mit Wladimir, dem »Bergadler der Revolution«.
Maria Alexandrowna Uljanowa, geb. Blank, kam 1835 zur Welt. Sie verlor schon im Kindesalter ihre Mutter. Ihr Vater, Alexander Dmitrijewitsch Blank, war Arzt und gehörte zu den fortschrittlichen Kreisen seines Zeitalters. Nach dem Tode seiner Frau verließ er seine Stellung als Oberarzt in einem der Petersburger Krankenhäuser. Er erwarb einen kleinen Landbesitz im Gouvernement Kasan, wohin er mit seinen Kindern übersiedelte. Hier widmete er sich der Bewirtschaftung seines Bodens und erwies gleichzeitig den Bauern der Umgebung ärztliche Hilfe. Sein Ruf als der eines geschickten und erfahrenen Arztes drang bald über die Grenzen seines Dorfes Kokuschkino hinaus. Selbst aus der Universitätsstadt Kasan kamen Patienten, um sich bei ihm ärztlichen Rat zu holen.
In diesem Dörfchen Kokuschkino verbrachte Maria Blank ihre Kindheit und Jugend. Sie und ihre Geschwister wurden in gestrenger Ordnung zu einfacher und bescheidener Lebensweise erzogen. Die Kinder mußten früh schlafen gehen und früh aufstehen. Im Sommer wurden unbedingt Flußbäder genommen, im Winter gab es kalte Abreibungen. Die Kost war einfach und bekömmlich. Im Winter wie im Sommer trugen die Mädchen Kattunkleidchen mit kurzen Ärmeln und offenem Halsausschnitt. Maria Uljanowa erzählte später ihren Kindern, daß sie und ihre Schwestern im Vaterhause selber die Betten machten, Geschirr wuschen und sonstige Hausarbeit zu verrichten hatten. Diese Erziehung verfolgte das Ziel, die Kinder körperlich abzuhärten und sie auf ein arbeitsames und selbständiges
Leben vorzubereiten.
Maria Alexandrowna war ein sehr begabtes Mädchen und sehnte sich nach höherer Bildung. Doch die geschlossenen Mädchenpensionate jener Zeit waren nicht nach dem Geschmack ihres Vaters, während es andrerseits an Mitteln fehlte, geeignete Privatlehrer ins Haus zu nehmen. Deshalb mußte Maria damit vorliebnehmen, was ihr im häuslichen Kreise und auf dem Wege des Selbstunterrichtes zugänglich war. Sie erlernte drei fremde Sprachen, las sehr viele Bücher und befaßte sich besonders gern mit Musik.
Im Sommer 1863 heiratete Maria den Schullehrer Ilja Nikolajewitsch Uljanow aus der Kreisstadt Pensa. Bald nach der Heirat übersiedelte das junge Paar nach Nischnij-Nowgorod (der jetzigen Stadt Gorki), wohin llja Uljanow auf den Posten eines Gymnasialoberlehrers für Mathematik und Physik berufen wurde.
Ilja Nikolajewitsch Uljanow, der sein Studium nur durch hart abgerungene Spargroschen hatte beenden können, liebte seinen Lehrerberuf über alle Maßen. Er erfreute sich der Liebe und Anhänglichkeit seiner Schülerschar.
Sechs Jahre lang wirkte Ilja Nikolajewitsch am Gymnasium in Nishnij-Nowgorod, einem der belebtesten und wohlbestellten Kulturzentren des damaligen Rußlands.
Doch als er den Posten eines Volksschulinspektors für das Gouvernement Simbirsk angeboten bekam, entschied er sich, seine gute Stellung in Nishnij-Nowgorod aufzugeben und nach dem weitabgelegenen Simbirsk (heute Uljanowsk) zu übersiedeln. Anna, die älteste Schwester Lenins, berichtete später in ihren Lebenserinnerungen über die Beweggründe dieser Übersiedlung, Ilja Nikolajewitsch Uljanow ». . . sehnte sich nach einem breiteren Arbeitsfeld. Er wollte, daß seine Erziehertätigkeit sich nicht auf die Kinder der wohlhabenden Familien beschränke, die das Gymnasium besuchen konnten. Sein Wirken sollte vielmehr denen von Nutzen sein, für die es damals am schwersten war, eine ausreichende Schulbildung zu erwerben, den Kindern jener, die noch gestern Leibeigene waren.« Iljakolajewitsch Uljanow, der selber aus »niederem Stande« hervorgegangen war, wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer es dem »gemeinen Mann« gemacht wurde, einen gewissen Bildungsgrad zu erreichen. Er wollte sein Wissen und Können in den Dienst der breitesten Volksbildung stellen. (…)
Im September 1869 übersiedelte die Familie Uljanow nach Simbirsk, wo sie eine Hofwohnung in der Streletzkistraße 10 mietete. Hier kam am 22. April 1870 (10. April alten Stils) Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) zur Welt.
Die ersten Jahre ihrer Simbirsker Zeit waren für Maria Alexandrowna einsam und mühevoll. Ihr Mann war ununterbrochen auf Inspektionsreisen, das Leben in Simbirsk war schwerer als in Nishnij-Nowgorod. Maria Alexandrowna hatte anfänglich in Simbirsk fast keinen Bekanntenkreis und widmete sich ausschließlich dem häuslichen Leben, vor allem der Erziehung ihrer Kinder. Voll reicher Erfindungsgabe und mit vielem Verständnis für den Interessenkreis der Kleinen, behandelte sie die Kinder nicht etwa mit herablassendem Wohlwollen, sondern trat allen Ernstes in deren Gedankenwelt ein und nahm innigen und aufrichtigen Anteil an ihren Spielen und Freuden. (…)
Beide Eltern waren bestrebt, ihre Kinder im fortschrittlichen Geiste ihrer Zeit zu erziehen. Als die Frage aktuell wurde, ob die älteste Tochter Anna auf die Hochschule gehen solle, gab es keine Meinungsverschiedenheiten. Es war selbstverständlich, daß die Tochter das Recht hatte, sich auf die erwünschte Berufsarbeit vorzubereiten.
Alexander, der älteste Sohn der Familie, wuchs als ein in sich gekehrter, schweigsamer Mensch heran. Er hing sehr an seinem Elternhaus, und der Einfluß, den die Mutter von seiner frühen Kindheit an auf ihn hatte, blieb auch später erhalten. (...)
Im Januar 1886 starb unerwartet Ilja Nikolajewitsch Uljanow. Schon längere Zeit vor seinem Tode war er in gedrückter Stimmung. Voll Bitterkeit sprach er oft im häuslichen Kreise von der Absicht der Regierung, die bisherigen Semstwoschulen durch kirchliche Pfarrschulen zu ersetzen. Das bedeutete, daß sein ganzes Lebenswerk mit einem Schlage vernichtet werden sollte.
Die Tätigkeit Ilja Uljanows auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens litt in der letzten Zeit immer mehr unter den Verdächtigungen der zaristischen Behörden, was ihm schweren Kummer bereitete. Er stand vor der Aussicht, sein geliebtes Arbeitsfeld verlassen zu müssen, was überdies bedeutete, daß er, der Ernährer einer vielköpfigen Familie, eines Tages ohne die notwendigen Mittel bleiben würde. (…)
Maria Alexandrowna hatte sich noch nicht von dem schweren Leid erholt, als sie ein neuer, noch viel härterer Schlag ereilte: die Verhaftung und bald darauf die Hinrichtung ihres Sohnes Alexander. Als erster erfuhr Wladimir Iljitsch von der Verhaftung. Darüber schreibt die Lehrerin Kaschkadamowa in ihren Erinnerungen folgendes:
»Im März 1887 erhielt ich von meiner Verwandten Peskowskaja aus Petersburg einen Brief, in welchem sie mir mitteilte, daß Alexander Iljitsch an der Verschwörung gegen den Zaren Alexander III. beteiligt war und daß er und Anna Iljinitschna verhaftet wurden. Sie bat mich, Maria Alexandrowna schonend zu verständigen. Gleich nach Erhalt des Briefes ließ ich Wladimir, der damals bereits Oberprimaner war, aus dem Gymnasium rufen, um mit ihm zu Rate zu gehen. Ich teilte ihm mit, was im Briefe stand, und ließ ihn selber den Inhalt lesen.
Wladimir Iljitsch dachte angestrengt nach und schwieg vorerst eine ganze Weile. Vor mir saß nicht mehr der einstige sorglose und lebenslustige Knabe, sondern ein reifer, erwachsener Mensch, der in tiefes Nachsinnen über eine wichtige Frage versunken war. ›Das ist doch eine ernste Angelegenheit‹, sagte er, ›die für Sascha ein schlimmes Ende nehmen kann.‹
Wir beschlossen, daß er der Mutter von dem Briefe Mitteilung machen solle, ohne ihr indes zu enthüllen, wieweit Alexander in die Angelegenheit verwickelt sei. Am Abend sollte ich dann ins Haus kommen und zusammen mit Wladimir der Mutter alles erzählen. Aber es war kaum eine Stunde vergangen, als Maria Alexandrowna bei mir erschien. Sie war blaß, ernst und bereit, diese neue Last auf ihre schwachen Schultern zu nehmen.
›Geben Sie mir den Brief‹, sagte sie beherzt. Als sie den Brief gelesen hatte, erklärte sie mit fester Stimme: ›Ich fahre noch heute, bitte, besuchen Sie die Kinder während meiner Abwesenheit.‹ Gleich darauf verabschiedete sie sich schweigend.« (…)
Die Anklage gegen Alexander Iljitsch lautete auf Teilnahme an der Vorbereitung zum Zarenmord »in der Strafsache des 1. März 1887«. In Petersburg wurde es Maria Alexandrowna klar, daß ihrem Sohne die Todesstrafe droht. Als zärtliche Mutter, die ihren Sohn innig liebte, richtete sie in ihrer Verzweiflung ein Schreiben an den Zaren. Der gekrönte Feldwebel kritzelte auf diesen Brief die Notiz: »Es wäre erwünscht, ihr einen Besuch im Gefängnis zu gestatten, daß sie sich selbst davon überzeuge, welch saubere Person ihr famoses Söhnchen ist …« Die zaristischen Oberschergen versäumten es nicht, diese »allerhöchste Willenskundgebung« zu deuten. Noch am selben Tage, dem 30. März 1887, schickte der Innenminister Graf Tolstoi folgendes dienstliche Schreiben an den Direktor des Polizeidepartements, Durnowo: »Könnte nicht die vom Zaren allergnädigst an die Uljanowa erteilte Erlaubnis eines Gefängnisbesuches bei ihrem Sohn dazu benutzt werden, daß sie ihn überrede, offenherzige Aussagen zu machen, insbesondere darüber, wer außer den Studenten diese ganze Sache ins Werk setzte. Mir scheint, das könnte gelingen, wenn die Mutter erst kunstgerecht behandelt würde.«
Durnowo verfügte daraufhin: »Frau Uljanowa für morgen 12 Uhr zu mir vorladen.«
Um was sich die Unterredung Durnowos mit Maria Uljanowa drehte, ist nicht schwer zu erraten, doch sie führte zu keinem der vom Zaren und seinem Minister erwünschten Ergebnisse. (…)
Alexander Uljanow wurde zum Tode verurteilt.
Als die schwergeprüfte Mutter nach der Urteilsverkündung den Sohn im Gefängnis besuchte, bat sie ihn, ein Gnadengesuch einzureichen. Doch er erwiderte: »Nach alledem, was ich vor Gericht gestand, kann ich so etwas nicht tun, es wäre unaufrichtig.«
Einige der Mitangeklagten Alexander Uljanows, die ein Gnadengesuch eingereicht hatten, wurden wirklich begnadigt, aber das galt nicht für Uljanow, der auf die Frage des Gerichtsvorsitzenden, warum er denn nicht ins Ausland emigriert sei, antwortete: »Ich wollte für mein Vaterland sterben.« Auch die Mutter sah ein, daß es nicht zulässig war, das Leben durch Schmach zu erkaufen. Als der Sohn ihr auseinandersetzte, daß er außerstande sei, eine falsche, unaufrichtige, heuchlerische Erklärung abzugeben, begriff sie, daß Ehrlosigkeit schlimmer sei als der Tod.
In Petersburg verbreitete sich plötzlich das Gerücht, daß das Todesurteil nicht vollstreckt werden würde. Das liebende Mutterherz klammerte sich an die Hoffnung. Sie hatte noch einmal Gelegenheit, ihren Sohn in der Peter-Pauls-Festung zu besuchen. Sie standen einander gegenüber, getrennt durch zwei Eisengitter, zwischen denen ein Gendarm hin und her ging. Sie durfte dem Sohne nichts überbringen. »Nur Mut!«, rief sie ihm zweimal zum Abschied zu. Das waren die letzten Worte, die sie an ihren Sohn richtete. Das Gerücht von einer bevorstehenden Aufhebung des Todesurteils bestätigte sich nicht. (…)
Maria Uljanowa brach unter den schweren Schicksalsschlägen nicht zusammen. Sie hatte noch für die anderen Kinder zu sorgen. Um ihretwillen mußte sie weiterleben.
Und bei den Kindern waren bereits die Charakterzüge der Mutter wiederzuerkennen, ihr unbeugsamer Geist, ihre Willensstärke. Schon damals, noch bevor er das Gymnasium beendet hatte, wiederholte Lenin, wenn von seinem älteren Bruder die Rede war, immer wieder: »So mußte er eben handeln, er konnte nicht anders.« Eine Freundin von Olga Iljinitschna, Lenins jüngerer Schwester, erzählte, daß Olga eine im Gefängnis aufgenommene Photographie Alexander Uljanows in die Schule mitbrachte. »Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, doch sie zeigte eine seltene Selbstbeherrschung. Kein einziger ihrer Gesichtsmuskeln verriet auch nur im geringsten, wie schwer sie selbst litt.«
Das weitere Leben in Simbirsk wurde für die Uljanows unerträglich. Fast alle Bekannten wandten sich von ihnen ab. Bei jeder Gelegenheit bekam Maria Alexandrowna zu hören, daß ihr Sohn sich eines schweren Staatsverbrechens schuldig gemacht habe. Maria Alexandrowna beschloß, in eine andere Stadt zu übersiedeln.
Das Schicksal des älteren Bruders hatte auf Wladimir Iljitsch einen tiefen Eindruck gemacht. Er dachte über all die Ereignisse gründlich nach und beschloß, daß er selber notwendigermaßen ebenfalls den Weg des revolutionären Kampfes beschreiten muß. Aber er begriff bereits, daß der Weg der individuellen Terroranschläge, den sein älterer Bruder gewählt hatte, unrichtig war und nicht zum Sturz des Zarismus führen konnte. In jene Zeit fällt das bekannte Zwiegespräch zwischen Lenin und dem Kasaner Polizeiinspektor. Der Polizeiinspektor hielt es für angebracht, Lenin zur Vernunft zu ermahnen. »Warum rebellieren Sie, junger Mann«, sagte der Polizist, »sehen Sie denn nicht, daß vor Ihnen sich eine Wand erhebt?«
»Eine Wand, aber eine morsche«, erwiderte Lenin, »wenn man gegen sie anstößt, wird sie einstürzen!«