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V. - 2. Der neuimperialistische Wiederaufstieg Russlands

Ausgehend vom XX. Parteitag in der Sowjetunion 1956 übernahm die zentrale Bürokratie in der Partei-, Staats- und Wirtschaftsführung unter Führung Chruschtschows als kollektiver und staatsmonopolistischer Gesamtkapitalist die Rolle der herrschenden Klasse. Diese neue Monopolbourgeoisie errichtete ihre bürgerliche Diktatur über die ganze Gesellschaft. Die Sowjetunion verlor ihren sozialistischen Charakter. War die sozialimperialistische Sowjetunion 1960 noch die zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Welt, so fiel sie bis 1990 auf weniger als ein Drittel der Wirtschaftskraft von Westeuropa und kaum mehr als die Hälfte Japans zurück.57

Mit dem Zusammenbruch des RGW58 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 war »Gorbatschows Versuch gescheitert, … kontrolliert zum staatsmonopolistischen Kapitalismus westlicher Prägung überzugehen«59. Ökonomisch fiel Russland in den folgenden Jahren in der Konkurrenz mit den westlichen imperialistischen Ländern weit zurück. Die Industrieproduktion in Russland stürzte von 1991 bis 1995 um 46 Prozent ab. Russland büßte zeitweise seinen imperialistischen Charakter ein.60

Der Zusammenbruch des sowjetischen Sozialimperialismus ließ einen einheitlichen Weltmarkt entstehen. Das schuf die entscheidende politische Vorbedingung der Neuorganisation der internationalen Produktion im imperialistischen Weltsystem.

In den 1990er-Jahren wurde der größte Teil der russischen Staatsbetriebe, vor allem im Rohstoffbereich und bei staatlichen Banken, privatisiert. Auf wundersame Weise gelangten diese vor allem in die Hand von Spitzenfunktionären des ehemaligen bürokratisch-kapitalistischen Wirtschafts-, Partei- und Staatsapparats, die sogenannten Oligarchen.61 Ihr skrupelloses Profit- und Machtstreben war eine Triebkraft für den Aufstieg Russlands zu einer neuimperialistischen Macht.

Der Reichtum an Rohstoffen, Erdöl, Erdgas und Metallen war eine widersprüchliche Ausgangsbasis für die neuimperialistische Entwicklung Russlands: Einerseits wurde der Zugriff ausländischen Kapitals aus strategischen Gründen in engen Grenzen gehalten. Andererseits nutzte Russland die Ab­hängigkeit vieler imperialistischer Konkurrenten von seinen Rohstoffen aus und drang so auf dem Weltmarkt vor.

Mit der Ernennung des ehemaligen Geheimdienstoffiziers des KGB, Wladimir Putin, 1999 zum russischen Präsidenten kam ein machtbesessener nationalistischer Monopolpolitiker zum Zuge. Unter seiner Führung konstituierte sich die russische Monopolbourgeoisie auf privatkapitalistischer Grundlage, das neuimperialistische Russland formierte sich. Zwischen 1990 und 2000 war dessen Anteil an der weltweiten industriellen Wertschöpfung noch von 3,3 auf 1,0 Prozent gefallen. Bis 2011 stieg er nun sprunghaft auf 2,9 Prozent. Seinen Anteil am Weltkapitalexport verzwanzigfachte Russland zwischen 1999 und 2007 auf 2,0 Prozent.62

Die Putin-Regierung zentralisierte viele Unternehmen und Banken zu »National Champion Companies«. So entstanden der zeitweise weltweit größte Aluminiumhersteller Rusal und Alrosa, ein weltmarktbeherrschendes Diamantenmonopol, und die staatliche Sberbank wurde zu einem internationalen Übermonopol aufgebaut. 19 russische Monopole waren 2014 in die weltweit hundert größten Rüstungskonzerne aufgestiegen. Gazprom stieg bis 2013 zum weltweit zweitgrößten Energiemonopol auf63, Russland zum weltweit größten Exporteur von Erdgas. Als zweitgrößter Ölproduzent konkurriert es mit Saudi-Arabien und den USA um die Weltmarktführung. Russland wurde weltgrößter Exporteur kreditfinanzierter Atomkraftwerke.

Die Putin-Regierung betreibt nach ­innen eine offen reaktionäre, chauvinistische und antikommunistische Politik gegen die Arbeiterklasse und die breiten Massen. Der immer wieder aufflammende Widerstand wird mit brutalen Einsätzen von Polizei und Armee verfolgt.

Putin verfolgt das Ziel einer von Russland dominierten Eura­sischen Union von Lissabon bis Wladiwostok. Brutal ging Russlands Militär gegen Loslösungsbestrebungen der Völker in Nordkaukasien sowie in Tschetschenien und Georgien vor.

Die Kampfkraft der russischen Armee gilt als zweitstärkste der Welt. 2008 wurde ein 700 Milliarden Euro schweres Modernisierungsprogramm gestartet, besonders für den Ausbau von Atomwaffen. Die russische Armee soll von 710.000 auf 915.000 Soldaten64 erweitert und als weltweite Interventionsarmee eingesetzt werden.

Die Schwäche Russlands nutzend, drangen NATO und EU mit ihrer Osterweiterung nach dem Fall der Berliner Mauer aggressiv auf Gebiet vor, das früher unter dem Einfluss der sozialimperialistischen Sowjetunion stand. Als Reaktion darauf und im Kampf um die Vorherrschaft über die Ukraine annektierte das wiedererstarkte Russland 2014 völkerrechtswidrig die Krim.

Russland hält im Syrien-Krieg seit 2011 das faschistoide Assad-Regime am Leben – mit militärischer Unterstützung, Bombardierungen und dem Einsatz von Boden­truppen. Über die Stärkung der Achse Iran/Syrien versucht es, seinen imperialistischen Einfluss auf den Nahen und Mittleren Osten zu wahren.

Die russische Regierung pflegt engste Beziehungen zum fa­schistischen türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdo˘gan. Sie fördert mindestens 15 faschistoide, faschistische und ultranationalistische Parteien in der EU und führt mit ihnen regelmäßige Treffen in Russland durch. Darunter: die neofaschistische NPD und die AfD in Deutschland, die Lega Nord in Italien, der Front National in Frankreich und die Jobbik in Ungarn. Die eng mit dem Kreml unter Putin verbundene First Czech-Russian Bank gab 2014 dem faschistischen Front National neun Millionen Euro für seinen Wahlkampf.

Putin hegt scheinbar paradox auch revisionistische Parteien, die sich »kommunistisch« nennen. So empfängt er in Moskau revisionistische Parteien aus der ganzen Welt – als Gastgeber der Feierlichkeiten, die die russische Regierung anlässlich des 100. Jahrestags der Oktoberrevolution veranstaltet. Die finden unter konterrevolutionärer Leitlinie statt: nie wieder Klassenkampf, nie wieder Revolution. Zu den Gästen gehören die KP Chinas, die Partei der Arbeit Koreas oder die Deutsche Kommunistische Partei DKP.65

Mit diesen Verbindungen versucht Putin die EU und ihre Mitgliedsländer zu destabilisieren.