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Die neue Qualität der allgemeinen Krisenhaftig­keit des Imperialismus

Bis zur Auflösung der Sowjetunion bestand eine Bipolarität im imperialistischen Weltsystem: Die USA und die sozialimpe­rialistische Sowjetunion waren die beiden impe­rialistischen Su­permächte. Heute ist auch durch das Aufkommen zahlreicher neuimperialistischer Länder, die immer mehr Gewicht und Einfluss auf Weltwirtschaft und Weltpolitik bekommen, an die Stelle der Bipolarität eine Multipolarität getreten.

Vor hundert Jahren wurde die Welt noch von einer Handvoll imperialistischer Großmächte beherrscht. Die große Mehrheit der Menschen lebte in Kolonien und Halbkolonien. Heute leben etwa 65,5 Prozent der Weltbevölkerung in impe­ria­listischen Ländern.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse befinden sich also großteils im höchsten und letzten Stadium des Kapitalismus, der unmittelbaren Vorstufe des Sozialismus. Diese Entwicklung bedeutet einen Sprung in eine neue Qualität der Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems und der Chancen für die internationale sozialistische Revolution.

In den Ländern, die als neokoloniale Anhängsel ausgeplündert werden, sind die Massen katastrophalen Lebensverhältnissen ausgesetzt. Einige dieser Länder – wie Afghanistan, Syrien, Irak, Jemen, Kongo oder Libyen – werden seit Jahren durch die Rivalität zwischen den alten und neuen Imperialisten regelrecht zerfetzt: durch Kriege und reaktionären Terror.

Innerhalb der imperialistischen Länder verschärfen sich die Klassenwidersprüche. Die Kluft zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Während die herrschenden Monopole eine privilegierte Schicht im Kleinbürgertum und ­unter den Industriearbeitern als Massenbasis für ihre Herrschaft korrumpieren, wird eine wachsende Masse der Bevölkerung in die Armut getrieben. Die Überausbeutung der Arbeiter wird immer mehr zur Normalität.

Die Feststellung einer multipolaren Welt bedeutet keineswegs, dass es sich ­dabei um einen monolithischen Block gleichgewichtiger Kräfte handeln würde. Im Gegenteil, man muss innerhalb der ­alten und neuen imperialistischen Mächte von Gruppen unterschiedlicher Qualität sprechen, je nachdem, welche Rolle sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Potenziale im imperialistischen Weltsystem einnehmen.

In den 1970er-Jahren konnte man den Weltimperialismus in einen primären und einen sekundären Imperialismus unterscheiden. Die beiden Supermächte USA und die sozialimperialistische Sowjetunion waren primärer Imperialismus. Die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich oder Japan waren z. B. sekundärer Imperialismus.

Gegen die damalige Verharmlosung des deutschen Imperialismus durch die kleinbürgerliche »ML-Bewegung«, die teilweise bis zur Propagierung der Vaterlandsverteidigung gegen die Supermächte ging, nahmen die Marxisten-Leninisten entschieden Stellung: Die sekundären imperialistischen Länder »versuchen im Schatten des primären Imperialismus ihre staatsmonopolistischen Ziele zur Profitmaximierung und zur neokolonialistischen Ausbeutung der Entwicklungsländer durchzusetzen. Wer kann aber sagen, ob die gegenwärtige Kräfteverteilung so bleibt?«92

Durch das Aufkommen der neuimperialistischen Länder wird das bisherige Gefüge des imperialistischen Weltsystems erschüttert.

China und Russland sind imperialistische Großmächte in der Weltpolitik, Russland vor allem militärisch. China ist auf dem Weg zur Supermacht und im Kampf um die Weltherrschaft mehr und mehr strategischer Hauptkonkurrent des US-Imperialismus, der seinen Anspruch auf Weltherrschaft ökonomisch, politisch und militärisch nach wie vor aggressiv verfolgt.

Die EU als imperialistisches Staatenbündnis mit über 20 imperialistischen Ländern versucht, eine neue weltpolitische Großmacht zu werden. Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist vor allem diesbezüglich ein Rückschlag.

Verschiedene Länder streben als imperialistische Länder vor allem nach regionaler Vorherrschaft, wie die Türkei, Israel, Saudi-Arabien, Brasilien, Südafrika oder Indien, meist im Bündnis mit anderen imperialistischen Großmächten.

Schwächere imperialistische Länder erhalten als Juniorpartner oder in besonderer Funktion (z. B. Norwegen, Singapur, Luxemburg oder die Schweiz) ihren Anteil an der weltweiten Mehrwertproduktion.

Diese Qualität der imperialistischen Multipolarität hat den weltweiten Konkurrenzkampf verschärft, die Labilität der impe­rialistischen Herrschaft vertieft, und sie schwächt in der Quintessenz das imperialistische Weltsystem und vertieft die allgemeine Krise des Kapitalismus.

Der internationale Rechtsruck der imperialistischen Regierungen

Seit 2012 mit Premierminister Shinzō Abe in Japan – und beschleunigt in den Jahren 2014 bis 2016 – werden immer mehr offen reaktionäre, nationalistische bis faschistoide Regierungen installiert. Vor allem in neuimperialistischen Ländern mit den Regierungen Narendra Modi in Indien, Michel Temer in Brasilien, Enrique Nieto in Mexiko. Andere Regierungen gingen zu einer ultrareaktionären Politik über, wie Wladimir Putin in Russland, die ANC-Regierung unter Jacob Zuma in Südafrika oder die Merkel/Gabriel-Regierung in Deutschland. In der Türkei errichtete Recep Tayyip Erdo˘gan im Sommer 2016 eine faschistische Diktatur.

Die besondere Aggressivität der ultra­reaktionären, rassistischen und faschistoiden Regierung unter Donald Trump mit dessen Programm »America First« hat ihre besondere materielle Grundlage in einem massiven Rückfall des US-Imperialismus in seiner weltmarktbeherrschenden Stellung. Das Zentralkomitee der MLPD ist im April 2017 zu folgender Einschätzung über die neue Qualität der Regierung Trump gekommen:

»Die Veränderungen seit der Amtsübernahme durch Donald Trump haben keineswegs nur den Charakter eines bloßen Regie­rungswechsels: Mit seinem Regierungsantritt kommt es zu einer Veränderung der Herrschaftsmethoden. Diese geraten mehr und mehr in Widerspruch mit den herkömmlichen bürgerlich-demokratischen Gepflogenheiten, lösen tendenziell die Nachkriegsordnung des imperialistischen Weltsystems auf, und an die Stelle des Regierungssystems der kleinbürgerlichen Denkweise setzt Trump die offene Reaktion nach innen und außen93

In alldem kommt die Grundtendenz des Imperialismus zum Ausdruck: Reaktion nach innen und Aggression nach außen. Das hat die Massen weltweit zum aktiven Widerstand heraus­gefordert und brachte einen international beginnenden fort­schrittlichen Stimmungsumschwung hervor.

Erbitterte Kämpfe des internationalen Industrieproleta­riats, aufstandsähnliche Massenkämpfe und Bewegungen für Freiheit und Demokratie sind Anzeichen, dass sich auf internationaler Ebene objektive und subjektive Faktoren für den Übergang zur revolutionären Gärung herausbilden. Darin äußert sich heute die Haupttendenz in der Welt: die Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution.

2003 stellten wir in dem Buch »Götterdämmerung über der ›neuen Weltordnung‹« fest, dass eine neue historische Umbruchphase eingeleitet wurde:

»Dass der Imperialismus zwar die Neuorganisation der Produktion einleiten, aber aufgrund seiner unlösbaren inneren Widersprüche nie einen Weltstaat schaffen kann, offenbart, dass der Imperialismus an eine relative Grenze seiner historischen Entwicklung stößt. Die modernen Produktivkräfte verlangen nach Produktionsverhältnissen, die ihrem internationalen Charakter entsprechen, aber diese sind nur in vereinigten sozialistischen Staaten der Welt zu verwirklichen.« (S. 568)

Allerdings wäre es ein Irrtum, von der absoluten Ausweg­losigkeit des Imperialismus auszugehen. Diese Illusion ist die Antwort der kleinbürgerlichen Anbetung der Spontaneität auf den augenscheinlicher werdenden Charakter des Imperialismus als sterbender Kapitalismus. Es ist vor ­allem der moderne Antikommunismus, mit dem die Arbeiterklasse und die Massen fertigwerden müssen, damit sie sich bewusst der revolutionären, marxistisch-leninistischen Alternative des Kampfs für den echten Sozialismus zuwenden.

In der Praxis entscheiden die Organisationskraft, Weitsicht, Bewusstheit der revolutionären Partei, die Gewinnung der entscheidenden Mehrheit des internationalen Industrieproletariats, ihre Verbundenheit und Verankerung unter den Massen, insbesondere der kämpferischen Frauenbewegung, das Schmieden des Kampfbündnisses mit einem wachsenden Teil der kleinbürgerlich-intellektuellen Zwischenschichten gegen Monopole und Staat, die Gewinnung der Jugend und ihre internationale Kooperation, Koordination und Revolutionierung darüber, ob sie eine revolutionäre Krise nutzen kann oder nicht. Daher kommt jetzt alles auf die Stärkung des subjektiven Faktors an.

Für den erfolgreichen Aufbau einer Partei neuen Typs ist es eine der Schlüsselfragen, jederzeit die inneren gesetzmäßigen Zusammenhänge, insbesondere die neuen Erscheinungen und wesentlichen Veränderungen in Natur und Gesellschaft dialektisch-materialistisch zu analysieren, richtig zu qualifizieren und die notwendigen Schlussfolgerungen für die vorausschauende marxistisch-leninistische Strategie und Taktik im Klassenkampf zu ziehen.

In dieser aufgewühlten, destabilisierten und krisenhaften Welt muss eine dem Imperialismus überlegene Kraft entstehen. Die Zeit ist reif für den Aufbau einer internationalen antiimperialistischen und anti­faschistischen Einheitsfront, deren Kern das internationale Industrieproletariat bilden muss.

Die Stärkung der ICOR und die Höherentwicklung der praktischen Kooperation und Koordination zur systematischen Weckung und Hebung des Klassenbewusstseins in Verbindung mit dem Aufbau und der erheblichen Stärkung revolutionärer Parteien in immer mehr Ländern ist die wichtigste Voraussetzung zur erfolgreichen Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution.