IV.

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Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008–2014 als Motor der Herausbildung und rasanten Entwicklung neuimperialistischer Länder

Bereits in den 1980er-Jahren begann zum Teil die vorbereitende Umwandlung ehemals neokolonial abhängiger oder revi­sio­nistisch entarteter ehemaliger sozialistischer Länder in neuimperialistische Länder. Der qualitative Sprung setzte bei den meisten seit der Jahrtausendwende ein. Ihr Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt war zwischen 1980 (13,3 Prozent), 1990 (13,4 Prozent) und 2000 (15,8 Prozent) nur leicht angestiegen. 2007 jedoch betrug dieser Anteil der neuimperialistischen Länder bereits 21,8 Prozent.

Dieser Prozess der sprunghaften Akkumulation des Kapitalismus in den neuimperialistischen Ländern bereitete den verheerenden Crash maßgeblich mit vor: die bisher tiefste und längste Weltwirtschafts- und Finanz­krise in der Geschichte des Kapitalismus (2008–2014). Das überschäumende imperialistische Kapital konnte nur noch durch die Kapitalvernichtung einer Überproduktionskrise ausgeglichen werden.

In der Weltwirtschafts- und Finanzkrise steigerten die neuimperialistischen Länder ihren Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt gewaltig – auf 31,1 Prozent bis 2014. 2010 überflügelten sie die USA und die EU. Die USA hatten 2014 mit 22,1 Prozent Weltanteil 3,0 Prozentpunkte eingebüßt gegenüber 2007, 8,6 waren es gegenüber 2000. Die EU hatte 2014 mit 23,6 Prozent Weltanteil 7,2 Prozentpunkte gegenüber 2007 verloren.

Der Kriseneinbruch 2008/2009 traf auch die 500 allein herrschenden internationalen Übermonopole massiv. Ihre Profite brachen von 2007 auf 2008 um 48,4 Prozent ein, von 1,6 Billionen US-Dollar auf 0,8 Bil­lio­nen.29 Ein gewaltiger Druck baute sich auf, das überschüssige Kapital verstärkt außer­halb der alten imperialistischen Metropolen Maximalprofit bringend anzulegen. Diese Kräfteverschiebung bewirkte, dass das umfassende internationale Krisenmanagement über die G2030 erfolgte, also über die Einbeziehung der wichtigsten neuimperialistischen Länder.

Der Aufbau neuer Kapital- und Produktionsanlagen in den neuimperialistischen Ländern wirkte wie ein Ventil – um die Überproduktionskrise zu dämpfen. Die ausländischen Direktinvestitionen in diese Länder wurden zwischen 2008 und 2014 verdoppelt, von 2,6 auf 5,4 Billionen US-Dollar31. Sie verhalfen den 500 führenden internationalen Übermonopolen schnell aus der weltweiten Überproduktionskrise. Ihre Profite stiegen bereits 2010 wieder um 59 Prozent. Die Flutung der neuimperialistischen Länder mit Kapital beschleunigte dort zugleich unbeabsichtigt die Herausbildung neuer imperialistischer Konkurrenten.

Der Anteil der neuimperialistischen Länder an der weltweiten industriellen Wertschöpfung verdoppelte sich: von 19,7 Prozent im Jahr 2000 auf 40,2 Prozent 2014. Im gleichen Zeitraum fiel der Anteil der EU um 5,5 Prozentpunkte auf 18,6 Prozent, der Anteil der USA um 9,1 Prozentpunkte auf 16,0 Prozent, der Anteil Japans um 10,3 Prozentpunkte auf 5,6 Prozent.32

Mitten in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise entfaltete die Wirtschaft einiger neuimperialistischer Länder ein dynamisches Wachstum. In China, Indien, Südkorea, Türkei, Indonesien, Saudi-Arabien, Argentinien wuchs sie teils auf 120 Prozentpunkte zum Vorkrisenstand. Alte imperialistische Länder verharrten selbst im ersten Quartal 2017 weit unter dem jeweiligen Vorkrisenstand: Japan mit 85,7 Prozent, Großbritannien mit 90,5 Prozent, Frankreich mit 88,3 Prozent, Italien mit 78,8 Prozent, Spanien mit 76,5 Prozent. Die industrielle Produktion in Deutschland und den USA erreichte 2014 wieder den Vorkrisenstand.33

Von 2007 bis 2014 verdreifachte sich der Anteil der neuimperialistischen Länder am weltweiten Kapitalexport von 10,2 auf 30,9 Prozent.34 In dieser Zeit bauten die neuimperialistischen Länder ihre Anteile am weltweiten Bestand der Direktinvestitionen im Ausland aus, von 10,8 auf 15,2 Prozent; die Anteile der EU fielen von 42,2 auf 36,6 Prozent, die der USA von 28,5 auf 25,3 Prozent. China, Südafrika und Saudi-Arabien verdoppelten ihre Bestände zwischen 2007 und 2014, die Türkei, Südkorea und Indien verdreifachten sie; in Katar wurden sie versechs-, in Indonesien verachtfacht.35

Diesem Ausbau der ökonomischen Machtbasis dienten auch grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen, wo Übermonopole aus neuimperialistischen Ländern verstärkt aktiv waren. Sie verdoppelten zwischen 2008 und 2014 den Weltanteil als Käufer bei grenzüberschreitenden Fusionen von 15,1 Prozent auf 29,1 Prozent und erweiterten damit wesentlich ihren internationalen imperialistischen Einfluss. Eine besonders hohe Steigerung des Jahresdurchschnitts 2008 bis 2014 gegenüber dem Jahresdurchschnitt der Jahre 2001 bis 2007 verzeichneten: China mit 690 Prozent, Südkorea mit 326 Prozent, Katar mit 310 Prozent, die Türkei mit 255 Prozent, Indonesien mit 158 Prozent.36

Die Veränderungen der Kräfteverhältnisse zwischen den im­perialistischen Ländern äußern sich in der Entwicklung des Kapitalexports. Konzentriert aber werden sie deutlich am Aufstieg von Monopolen aus den neuimperialistischen Länder in die 500 internationalen Übermonopole des ­allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Die Anzahl dieser Übermonopole aus BRICS- und MIST-Ländern hat sich von 32 Übermonopolen in 2000 auf 141 in 2015 mehr als vervierfacht. Das ging auf Kosten der USA, der EU und Japans.

Die BRICS-Staaten gründeten 2014 die »Neue Entwicklungsbank« (NDB), ausdrücklich als Konkurrenz zum IWF. Das zielt unter anderen darauf ab, den US-Dollar als Weltleitwährung infrage zu stellen.37

Im Kampf um die Beherrschung des Weltmarkts taten sich gewaltige Machtverschiebungen auf. China verdrängte die USA als Weltmarktführer in der Mineralölindustrie, in der Bauindustrie oder bei den Banken. Übermonopole aus Südkorea wurden Weltmarktführer im Schiffbau, in der Elektro- und Elektronikindustrie – sie verdrängten die USA und Deutschland.38

Neuimperialistische Länder bauten eine regionale impe­ria­listische Vormachtstellung auf gegen bisherige Einflussgebiete der alten imperialistischen Mächte: Brasilien ist das fünftgrößte Land der Erde mit der siebtgrößten Volkswirtschaft 2014, dem elftgrößten Militärhaushalt und über 200 Millionen Einwohnern. Es nutzte den Wirtschaftsblock Mercosur für den Aufstieg als neuimperialistische Macht in Südamerika. Südafrika dehnte seine Vormachtstellung auf dem afrikanischen Kontinent aus. Die Bergbaumonopole Südafrikas beuten andere Länder und Arbeiter im südlichen Afrika aus. Südafrika stationierte in all diesen Ländern auch Militär. Mit der Afrikanischen Union traf Südafrika eine Abmachung, seine Truppen dürften in kürzester Zeit eingreifen, wenn es zu Aufständen kommt. Indien baut seine imperialistische Macht auf dem indischen Subkontinent aus und verschärft damit die Konkurrenz zu China. Israel, die Türkei, der Iran, Saudi-Arabien und die arabischen Scheichtümer kämpfen untereinander und mit den alten Imperialisten um die regionale Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika.

Für den Kampf um die Neuaufteilung der Welt forcierten die neuimperialistischen Länder den Ausbau ihrer staatlich-mili­tärischen Machtapparate. Ihre Armeen umfassten 2015 etwa acht Millionen Soldaten, die NATO hatte 3,3 Millionen.39

Von 2000 bis 2014 vervierfachten die neuimperialistischen Länder ihre Militärausgaben: von 125 auf 561 Milliarden US-Dollar. Auch die NATO-Staaten steigerten in diesem Zeitraum ihre Hochrüstung, wenn auch weniger rasant: von 479 auf 921 Milliarden US-Dollar.40

Die USA sind weiterhin die einzige imperialistische Supermacht. Diese Sonderrolle zeigt sich gerade auf militärischem Gebiet. Allein 2016 betrugen ihre Militärausgaben 611 Milliarden US-Dollar, das ist über ein Drittel der weltweiten Militärausgaben. Die USA verfügten 2015 mit ihrem Atomwaffenarsenal von 7000 Sprengköpfen über 45 Prozent der Weltbestände.41 Seit der Regierungsübernahme Donald Trumps betreiben die USA eine noch aggressivere Aufrüstung. Bis 2027 wollen sie die Militärausgaben auf jährlich 722 Milliarden US-Dollar steigern.

Die neuimperialistischen Staaten haben sich zu den weltweit größten Importeuren schwerer Waffen entwickelt. Von 2011 bis 2015 lag Indien mit einem Weltmarktanteil von 14 Prozent an der Spitze – vor Saudi-Arabien mit 7 Prozent, China mit 4,7 und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 4,6 Prozent. Für den eigenständigen Ausbau ihres militärischen Machtapparats verfügten die neuimperialistischen Länder 2014 bereits über 26 der 100 größten Rüstungsmonopole der Welt.42

Neuimperialistische Länder unterhalten riesige Polizeitrup­pen und paramilitärische Verbände. Deren Umfang übersteigt bei Weitem den der entsprechenden Einheiten in anderen imperialistischen Staaten. Chinas bewaffnete Volkspolizei umfasst 1,5 Millionen, Indiens Paramilitärs »zum Schutz vor Aufständen« 1,3 Millionen. Sie dienen vor allem der Unterdrückung der Massen im Innern – von Streiks, Erhebungen gegen die Regierung bis hin zu Aufständen und revolutionären Bewegungen.

Die staatlichen Massenmedien nutzen die neuimperialistischen Länder als ideologisch-politische Machtzentren für die weltweite Manipulierung der öffentlichen Meinung. Katar beeinflusst mit dem Fernsehsender Al Jazeera etwa eine Milliarde Arabisch sprechende Menschen. Russland, China und die Türkei nutzen mit – zum Teil mehrsprachigen, monopolisierten – ­Medien die emigrierte Bevölkerung als Plattform ihrer neuimperialistischen Politik in anderen Ländern.

Bei UN-Klimagipfeln beanspruchen die neuimperialistischen Länder Sonderrechte für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit. Als Vorwand nennen sie »nachholende Entwicklungsökonomie« und »unabhängige Energieversorgung«. Damit rechtfertigen sie aggressive Abbaumethoden im Berg- bzw. Tagebau, die Vernichtung der Regen­wälder, die Vertreibung von Millionen Kleinbauern oder den Ausbau der Atomenergie. China, Indien, Russland, Südkorea, Iran, Saudi-Arabien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Südafrika und die Türkei haben ­ihren Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen in die Höhe getrieben: von 35,6 Prozent im Jahr 2000 auf 50,9 Prozent 2015.43

In den internationalen Produktionsverbünden wuchs auch in den neuimperialistischen Ländern beschleunigt ein modernes internationales Industrieproletariat heran, verbunden durch die internationale Arbeitsteilung. Der größte Teil der etwa 500 Millionen Angehörigen des internationalen Industrieproletariats ist inzwischen in den neuimperialistischen Ländern beschäftigt.

Internationale Industriearbeiter in neuimperialistischen Län­dern stehen mit an der Spitze von Streiks und Klassenauseinandersetzungen. Am 2. September 2016 beteiligten sich bis zu 180 Millionen am 2. Generalstreik gegen die Modi-Regierung in Indien. Ein Jahr zuvor hatten bereits 150 Millionen gestreikt. Am 16. August 2012 gab es das Massaker an 34 streikenden schwarzen Bergarbeitern der Lonmin-Mine in Südafrika. Daraufhin entwickelte sich in den folgenden Jahren eine Welle selbständiger Massenstreiks der Berg- und Metallarbeiter Südafrikas.

Auf diesem Boden wächst ein neuer Aufschwung der weltweiten kämpferischen Frauenbewegung. Frauen werden zunehmend Teil des internationalen Indus­trieproletariats. Ihre Rolle als Bindeglied zwischen der Arbeiterbewegung, der rebel­lischen Jugend und dem aktiven Volkswiderstand wächst. Davon zeugen Massenproteste von Frauen gegen Gesetze und reaktionäre Frauenpolitik in den USA, Indien, der Türkei oder Polen.

So entfalten sich neue Kräfte für die Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe in der Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution – mit dem internationalen Industrieproletariat als führende Kraft.