Leseprobe

Leseprobe

Einleitung

»Die Kommunistische Partei ist ein Teil der Arbeiterklasse, und zwar der fortgeschrittenste, klassenbewußteste und deshalb revolutionärste Teil. Die Kommunistische Partei entsteht durch die Auslese der besten, klassenbewußtesten, selbstlosesten, weitblickendsten Arbeiter. Die Kommunistische Partei hat keine von den Interessen der Arbeiterklasse verschiedenen Interessen. Die Kommunistische Partei unterscheidet sich von der gesamten Masse der Arbeiter dadurch, daß sie den ganzen geschichtlichen Weg der Arbeiterklasse überschaut und an allen Wendepunkten dieses Weges nicht die Interessen einzelner Gruppen, einzelner Berufe, sondern die Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit verteidigt. Die Kommunistische Partei ist der organisatorisch-politische Hebel, mit dessen Hilfe der fortgeschrittenste Teil der Arbeiterklasse die gesamte Masse des Proletariats und des Halbproletariats auf den richtigen Weg führt.« (Aus: »Leitsätze über die Rolle der Kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution, angenommen auf dem II. Kongreß der Kommunistischen Internationale am 24. Juli 1920«, in: »Der I. und II. Kongreß der Kommunistischen Internationale«, Berlin/DDR 1959, S. 154/155)

Aus diesen Leitsätzen geht hervor, daß die Kommunistische Partei die Vorhut, die Avantgarde des Proletariats ist. Der Aufbau der am 31. Dezember 1968 gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten mußte von diesen Leitsätzen ausgehen. Wie aber war die damalige Lage?

Objektiv war die Gründung einer revolutionären marxistisch-leninistischen Partei infolge der Verwandlung der früheren KPD in eine revisionistische, reformistische Partei und ihren Verrat an der Revolution längst fällig.

Subjektiv fehlten jedoch die wesentlichen Voraussetzungen: die ideologischen, politischen und organisatorischen. Sie hätten in einem vorherigen Klärungsprozeß der verschiedenen Gruppen untereinander geschaffen werden müssen; das war jedoch nicht geschehen.

Nach der Gründung der KPD/ML mußten beim Aufbau der Organisation die drei Voraussetzungen nachgeholt werden. Das machte den Aufbau in der ersten Phase schwierig und kompliziert. Diese Tatsache kam in dem Rechenschaftsbericht der Landesdelegiertenkonferenz der Partei von Nordrhein-Westfalen am 8. März 1970 wie folgt zum Ausdruck:

Diese erste Phase wollen wir rückblickend in unserem Rechenschaftsbericht behandeln und sachlich untersuchen, was wir der jeweiligen Situation entsprechend getan, welche Fehler wir gemacht und was wir unterlassen haben. Wir waren uns vor einem Jahr klar, daß wir die Versäumnisse der Vorgründungszeit nachholen, das heißt, die ideologischen, politischen und organisatorischen Voraussetzungen für den Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei nachträglich schaffen müssen. Um die ideologischen Voraussetzungen zu schaffen, war zweierlei notwendig:

1. Die Herausgabe eines theoretischen Organs. So wurde in Nordrhein-Westfalen ein Redaktionskollektiv gebildet, und Ende April 1969 erschien die erste Nummer REVOLUTIONÄRER WEG als Kampforgan gegen den Revisionismus, als Herausforderung der DKP bzw. der illegalen KPD.

2. Systematische Schulung, verbunden mit kollektivem Studium und Selbststudium des Marxismus-Leninismus und der Ideen Mao Tsetungs, mit dem Ziel dabei zu lernen, die Theorie mit der Praxis zu verbinden.

Anfang März 1969, als die Partei noch kaum in der Lage war, die ersten zaghaften politischen Schritte zu machen, wurde sie durch ein weltweites Ereignis herausgefordert: die sowjetischen Grenzprovokationen gegen China, besonders durch den blutigen Überfall auf die chinesische Insel Dschenbao im Wusulifluß. Jetzt mußte die Partei politisch in die Öffentlichkeit treten. Sie mußte sofort grundsätzlich auf dieses Ereignis reagieren, trotz aller Schwäche und ungenügender Information.

Die Landesleitung druckte sofort ein Flugblatt »Hände weg von China«, das zentral übernommen wurde. Das Flugblatt hat mobilisierend auf die Mitglieder unserer Partei und herausfordernd auf die DKP gewirkt, die bedingungslos jeden imperialistischen Gewaltakt der Sowjets gutheißt. Es wurde auch eine Waffe gegen den Revisionismus auf dem Ostermarsch und brachte die DKP-Funktionäre so in Panik, daß sie gegen unsere Genossen handgreiflich wurden. Durch dieses erste Flugblatt wurden manche Leute auf die KPD/ML aufmerksam und nahmen Kontakt mit uns auf. Durch weitere Flugblätter am 1. Mai und zur Bundestagswahl trat die Partei verschiedentlich an die Öffentlichkeit …

Wir müssen berücksichtigen, daß bei der Gründung der Partei nicht nur die ideologischen und politischen Voraussetzungen fehlten, sondern auch die organisatorischen. Wir mußten am Nullpunkt beginnen. Man kann sich natürlich streiten, ob es richtig war, zunächst einmal jeden aufzunehmen, der gewillt war, Mitglied zu werden. Wer kannte denn wen? Leider waren es nur wenige Revolutionäre aus der alten KPD, die mitmachen wollten. Meist waren es junge Leute, die, ohne theoretische Grundlage und ohne Erfahrungen in der praktischen Arbeit, sich für die neue Partei interessierten. Manche brachten kleinbürgerliche Auffassungen mit; aber das zeigte sich erst später.

Es mußte zunächst mit der Organisation begonnen werden. Aber der weitere Organisationsaufbau mußte straff durchgeführt werden. Statt dessen wurde jedoch eine verschwommene Organisationslinie angewandt. Jetzt war es höchste Zeit, die Organisation zu festigen, durch systematische Arbeit den verschwommenen Zustand zu beseitigen und Organisationsfunktionäre heranzubilden, um nach gewisser Zeit die provisorischen Leitungen durch gewählte zu ersetzen ...

Es machte sich auch noch ein entscheidender Mangel in der Organisation bemerkbar. Als Folge der verschwommenen Organisationslinie des ersten Halbjahrs 1969 drangen auch kleinbürgerliche Elemente in die Partei ein, vor allem aus den Reihen der Schüler und Studenten, aber nicht nur aus diesen Schichten. In Dortmund trat eine politisch gebundene Gruppe von Genossen in die Partei ein, die aus dem damaligen Agartzkreis kamen, die dann die Markowski-Gruppe bildeten, sich aber 1962 wieder von ihr trennten. Es handelt sich bei dieser Gruppe in der Hauptsache um ausgeschlossene und ausgetretene ehemalige Sozialdemokraten, denen sich auch einige Kommunisten angeschlossen hatten. Ihnen schwebte die Bildung einer sozialistischen Partei vor, die jedoch nie zustande kam ...

Blicken wir noch einmal auf den Organisationszustand des vergangenen Sommers zurück. Als eine Untersuchung im August zeigte, daß sich die Mitgliedschaft der Partei aus nur 40 Prozent Arbeitern und Betriebsangestellten, jedoch aus 60 Prozent Schülern und Studenten zusammensetzte, war eine Klärung in der Organisation nötig. Die proletarische Linie in der Partei durchsetzen bedeutet, daß sich alle Organe und Mitglieder der Partei auf die Arbeiterklasse orientieren müssen. Um das durchführen zu können, muß die Mitgliedschaft im entscheidenden Maße aus Arbeitern bestehen, mit deren Hilfe die proletarische Linie erfolgreich angewandt werden kann ...

Das war im großen und ganzen die Situation, die zu den September-Beschlüssen des ZK führte. Diese wurden Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Diskussion und eines sich verschärfenden Kampfes zweier Linien in der Partei: der proletarischen Linie und der kleinbürgerlichen Linie.