Willi Dickhut

Willi Dickhut

Klausurtagung und Aufruf der Zentralen Kontrollkommission

Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1976

Klausurtagung und Aufruf der Zentralen Kontrollkommission

An die Zentrale Leitung des KABD 19. 1. 76

Ich hatte bereits meine Bedenken über die Klausurtagung geäußert, weil ich aus der Diskussion mit Franz und Siggi und aus den Protokollen (soweit sie bis jetzt vorliegen) Schlüsse gezogen habe. Meines Erachtens wurde nicht dialektisch an die Probleme herangegangen, wenn es zum Beispiel im Protokoll vom 26. 12. 75 (nachmittags) unter Punkt 4 heißt:

»Der agitatorische Sturm war nicht richtig. Die inneren Voraussetzungen hierfür waren nicht da und wurden auch nicht vorher analysiert. Er mußte scheitern an der herrschenden Handwerkelei. Die Agitation stand im Vordergrund mit der Illusion, daß wir in der Lage wären, Kämpfe zu führen. In der Etappe des Parteiaufbaus als Bund muß die Propaganda im Vordergrund stehen mit dem Ziel der Gewinnung der fortgeschrittensten Arbeiter für die Organisation der Revolutionäre. In der Konzeption des agitatorischen Sturms wurde dies nicht berücksichtigt.«

Hier sind gleich zwei Fehler enthalten. Die »Peking Rundschau« 51/75 enthält einen Artikel »Lernt die dialektische Auffassung von der Einheit der Gegensätze beherrschen!« von Yan Feng, der auf derartige Fehler hinweist: »Es ist für die Bekämpfung und Verhütung des Revisionismus … von äußerster Wichtigkeit, … die dialektische Auffassung von der Einheit der Gegensätze zu beherrschen und das Handeln nach der den objektiv existierenden Dingen innewohnenden Dialektik auszurichten.«

Dem Protokoll entsprechend, habt Ihr das Gegenteil getan. Agitation und Propaganda bilden eine dialektische Einheit. Beide Seiten stehen in Wechselbeziehung zueinander, wobei jeweils eine Seite zur Hauptseite werden kann; das hängt von den Bedingungen des Kampfs ab. Niemals darf man die beiden Seiten trennen. Treffend schreibt Yan Feng: »Sehen wir nur eine Seite, nicht aber die andere, übersehen wir die Einheit und den Kampf der Gegensätze, werden wir metaphysische und idealistische Fehler begehen.«

Ihr habt auf der Tagung beide Seiten getrennt und handelt, was die Einheit von Agitation und Propaganda anbelangt, im Widerspruch zu der Auffassung Lenins, die er mit hervorragender Klarheit in »Die Aufgaben der russischen Sozialdemokratie« zum Ausdruck gebracht hat. Wegen der besonderen Bedeutung des Zusammenhangs mit dem obigen Protokoll will ich sie hier ungekürzt zitieren:

»Die sozialistische Arbeit der russischen Sozialdemokraten besteht darin, die Lehren des wissenschaftlichen Sozialismus zu propagieren, unter der Arbeiterschaft das richtige Verständnis zu verbreiten für die gegenwärtige sozialökonomische Ordnung, für ihre Grundlagen und ihre Entwicklung, für die verschiedenen Klassen der russischen Gesellschaft, ihr Wechselverhältnis und den Kampf dieser Klassen untereinander, für die Rolle der Arbeiterklasse in diesem Kampf, ihr Verhältnis zu den untergehenden und zu den sich entwickelnden Klassen, zur Vergangenheit und zur Zukunft des Kapitalismus sowie für die historische Aufgabe der internationalen Sozialdemokratie und der russischen Arbeiterklasse. In untrennbarem Zusammenhang mit der Propaganda steht die Agitation unter den Arbeitern, die angesichts der heutigen politischen Verhältnisse in Rußland und des gegebenen Entwicklungsniveaus der Arbeitermassen naturgemäß in den Vordergrund rückt. Die Agitation unter den Arbeitern besteht darin, daß die Sozialdemokraten an allen spontanen Kampfaktionen der Arbeiterklasse, an allen Zusammenstößen zwischen Arbeitern und Kapitalisten wegen Arbeitszeit, Arbeitslohn, Arbeitsbedingungen usw. usf. teilnehmen. Wir haben die Aufgabe, unsere Tätigkeit aufs engste mit den praktischen Tagesfragen des Arbeiterlebens zu verbinden, den Arbeitern zu helfen, sich in diesen Fragen zurechtzufinden, die Aufmerksamkeit der Arbeiter auf die gröbsten Mißbräuche zu lenken, ihnen zu helfen, ihre Forderungen an die Unternehmer genauer und zweckmäßiger zu formulieren, in den Arbeitern das Bewußtsein ihrer Solidarität zu entwickeln, das Bewußtsein der gemeinsamen Interessen und der gemeinsamen Sache aller russischen Arbeiter als einer einheitlichen Arbeiterklasse, die ein Bestandteil der Weltarmee des Proletariats ist.« (Lenin Werke Bd. 2, S. 331 – magere Hervorhebung von W. D.)

Diese grundsätzlichen Ausführungen treffen auch auf unsere Situation zu. Glaubt nur nicht, damals wären die Kräfte der Arbeiter und der Partei größer gewesen, doch Lenin hat die dialektische Einheit von Agitation und Propaganda nicht zerrissen, im Gegenteil betont er: »in untrennbarem Zusammenhang«. Es ist ein Musterbeispiel der Beherrschung der dialektischen Einheit der Gegensätze in einer solchen konkreten Form, daß wir das nur auf unsere heutige Situation zu übertragen und anzuwenden brauchen. Dagegen habt Ihr auf der Tagung beide Seiten getrennt, ohne zu berücksichtigen, daß zu jeder Zeit des Parteiaufbaus und der weiteren Entwicklung der Partei zur Massenpartei stets Agitation und Propaganda im Mittelpunkt der revolutionären Tätigkeit stehen muß. Selbst in offenen revolutionären Kämpfen spielen Agitation und Propaganda eine nicht zu unterschätzende Rolle (nur mit anderen Methoden und den besonderen Bedingungen angepaßt).

Der agitatorische Sturm bedeutet nichts anderes, als daß in der dialektischen Einheit von Agitation und Propaganda die Agitation zur Hauptseite wurde mit dem Ziel der Gewinnung und Organisierung von Arbeitern für den KABD. Das entspricht dem, was Lenin oben forderte. Die dialektische Einheit darf nicht durch einseitige Handhabung (Hauptseite bedeutet nicht Einseitigkeit) zerrissen werden. Diese Gefahr sah ich bereits im Februar '75 kommen und schrieb darum den Artikel »Drei Trümpfe«, der im »Lernen und Kämpfen« 3/75 erschien. Er beinhaltet kurz und präzise unsere Aufgaben und beginnt mit dem Satz: »Es wird wohl kein Genosse bezweifeln, daß das die entscheidenden Trümpfe des Parteiaufbaus sind. Sie sind Kernstück unserer gesamten Tätigkeit.«

Ihr hättet auf der Klausurtagung besser daran getan, diesen Artikel zugrundezulegen und zu untersuchen, warum der Erfolg ausgeblieben ist. In dem eingangs zitierten Abschnitt des Protokolls steht der Satz: »Die inneren Voraussetzungen hierfür (agitatorischer Sturm) waren nicht da und wurden auch nicht vorher analysiert.« Das stimmt nicht, wer so herangeht, vertuscht das Versagen der Leitungen. Die ideologisch-politischen Grundlagen waren vorhanden. Hat die Zentrale Leitung alles getan, damit mit Hilfe der unteren Leitungen die gesamte Organisation mobilisiert wurde, sich die ideologisch-politische Linie gründlich anzueignen, damit diese im agitatorischen Sturm umgesetzt werden konnte? Wotan schreibt in seiner persönlichen Stellungnahme:

»Die Verschärfung meiner Situation würde ich anfangs dieses Jahres ansetzen. Den qualitativen Sprung in der Arbeitsstilkampagne habe ich nicht geschafft. Ich habe daraus aber weder für mich persönlich noch für die Organisation irgendwelche relevanten Konsequenzen gezogen. Es kam die sich schrittweise verschärfende Situation in den Massenorganisationen, erst in der KSG – und im Zuge damit unter den Berufstätigen – und dann im RJVD, hinzu. Gleichzeitig deckte die Auswertung der ersten vier Monate die ökonomistischen Tendenzen in unserer Organisation auf. Die Kritik an der Zentralen Leitung verschärfte sich in zunehmenden Maße …

Orientierungslosigkeit und Handwerkelei zeigten sich etwa seit Beginn dieses Jahres immer deutlicher: Die Orientierungslosigkeit ging bereits so weit, beziehungsweise die ideologisch-politische Stagnation war bereits so weit vorangeschritten, daß ich zum Beispiel nicht in der Lage war, einen mir vom Sekretariat übertragenen Artikel für die Rote Fahne zu schreiben. Die Handwerkelei kommt darin zum Ausdruck, daß ich allerspätestens seit Jahresbeginn die Organisation nicht mehr geführt, sondern nur noch verwaltet habe. Ich war nicht mehr wirklich an den Problemen und Fragen der Arbeiterklasse und der Organisation dran, sondern hatte, wie dies ein Genosse auf der erweiterten Plenumssitzung ausdrückte, ›abgehoben‹.«

Soweit Wotan, den anderen Genossen ist es nicht wesentlich anders ergangen, nur daß sie nicht wie Wotan kapituliert haben. Habe ich nicht im Laufe des vergangenen Jahres immer wieder auf die Schwächen und Fehler der Zentralen Leitung hingewiesen? Wurden sie jemals analysiert?

Kommen wir zum oben genannten Protokoll zurück, hier wird eine gefährliche Schlußfolgerung gezogen: »Die Agitation stand im Vordergrund mit der Illusion, daß wir in der Lage wären, Kämpfe zu führen.« Der Aufbau einer proletarischen Partei darf nicht losgelöst von den Kämpfen der Arbeiterklasse erfolgen. Parteiaufbau und Kampf der Arbeiterklasse bilden eine dialektische Einheit, die nicht zerrissen werden darf. Aufbau einer proletarischen Partei verlangt Konzentrierung auf die Betriebe, auf das Industrieproletariat, ohne die anderen Schichten der werktätigen Bevölkerung zu vernachlässigen. Er verlangt, alles zu versuchen, anknüpfend an die Nöte und Interessen der Arbeiter, Kämpfe auszulösen und zu führen. Wer das als Illusion bezeichnet, verzichtet auf den Parteiaufbau. Selbst ein einzelner Genosse im Betrieb hat die Aufgabe, durch zähe systematische Agitation und Propaganda die Kollegen auf den Kampf vorzubereiten und die fortgeschrittensten Arbeiter für die Partei zu gewinnen. Er muß den Mut haben, sich bei einem spontanen Kampf an die Spitze der Streikenden zu stellen. Man gewinnt die Arbeiter nicht durch abstrakte Propaganda, sondern nur in Verbindung mit der konkreten Praxis im Betrieb. Es geht hier nicht darum, ob wir gegenwärtig zu schwach sind, Kämpfe größeren Stils auszulösen und zu führen, sondern darum, daß jeder Genosse versteht, die dialektische Einheit von Parteiaufbau und Kampf der Arbeiterklasse, die Wechselwirkung zwischen beiden Seiten, zu begreifen und ständig den sich verändernden Bedingungen anzupassen, auf jede Regung im Betrieb zu achten und sie auszunutzen. Wer aber Parteiaufbau und Kampf der Arbeiterklasse isoliert betrachtet, die dialektische Einheit zerstört, für den sind unter den gegenwärtigen Bedingungen die Kämpfe der Arbeiterklasse eine Illusion, und er begibt sich in der Konsequenz auf die Plattform der Reformisten: »In der Krise kann man nicht kämpfen!«

Mit Propaganda allein kann man die Partei nicht aufbauen. Das ist ja gerade die Theorie einiger Intellektueller, die vom . »ideologischen Parteiaufbau« sprechen, daß man den Arbeitern ihre Theorie von »außen beibringen« muß, daß die Intellektuellen dazu am fähigsten sind und darum die Führung haben müssen. Genossen, merkt ihr denn nicht, wohin die einseitige Ausrichtung führt? Diese Einseitigkeit hat mit Dialektik nichts zu tun, sie ist starr, ohne Prozesse, ohne Bewegung und darum metaphysisch. In dem oben angeführten Artikel schreibt Yan Feng:

»Die zwei gegensätzlichen Seiten, die einem objektiv existierenden Ding innewohnen, sind nicht tot und erstarrt, sondern sie sind lebendige, bedingte, bewegliche Gegensätze und können sich unter bestimmten Bedingungen ineinander verwandeln.«

So muß auch unsere Agitation und Propaganda lebendig sein und sich ineinander verwandeln. In diesem Sinne sollten wir unsere Rote Fahne untersuchen. Ein lebendiger Inhalt muß auch in eine lebendige Form gebracht werden. Wie sieht es aber damit aus? Oft geht der wichtige Inhalt eines Artikels in einem ledernen Stil unter. Wir müssen uns angewöhnen, klar und leicht verständlich zu schreiben, es muß Leben aus dem Artikel sprudeln. Schachtelsätze sind zu vermeiden. Bei bestimmten Ereignissen ist eine eindringliche Sprache notwendig. Jeder Leser muß spüren, daß der Schreiber selbst von dem Inhalt überzeugt ist. Die Rote Fahne hat manche Mängel aufzuweisen, aber kann man an die Leser der Roten Fahne (1/76) so schreiben: »Genossen machten die Erfahrung, daß die Rote Fahne die fortgeschrittensten Kollegen eher langweilte als fesselte, weil sie den grundlegenden Fragen der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfs aus dem Weg ging.« Wie rückständig müssen wohl unsere eigenen Genossen sein, die das nicht gemerkt haben, wie dumm müssen unsere Arbeiterkorrespondenten sein, die in ihren Beiträgen so wirklichkeitsfremd geschrieben haben! Nein, Genossen, wenn Ihr so herangeht, begeht Ihr politischen Selbstmord. Gegen eine solche Unterstellung gegenüber allen unseren Mitarbeitern an der Roten Fahne protestiere ich! Wenn wirklich ein Kollege eine derartige Einschätzung gegeben haben sollte, dann hat er entweder die Rote Fahne nicht gelesen, oder er hat ganz andere Gründe. Untersucht, ob das nicht daran liegt, daß der Inhalt – der das Leben und den Kampf der Arbeiterklasse widerspiegeln soll – in eine schwerverständliche Form gebracht wurde. Inhalt und Form sind zwei Seiten einer dialektischen Einheit, die in Wechselbeziehung miteinander stehen und nicht auseinandergerissen werden dürfen. Nur in der Einheit dieser Gegensätze wird unsere Zeitung lebendig. Zerreißt Ihr die Einheit, wird sie verflachen und langweilig werden.

In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr, daß die Zeitungsarbeit zur Routinearbeit wird, darauf habe ich Karl verschiedentlich hingewiesen.

Hier tritt wieder die Dialektik auf. Die Zentrale Leitung muß die Redaktion ständig anleiten und ihre Arbeit kontrollieren. Anleitung und Kontrolle sind ebenfalls eine dialektische Einheit. Das gilt natürlich nicht nur für die Zeitungsarbeit, sondern für die gesamte Tätigkeit der drei Organisationen. Hier liegt meines Erach-tens der entscheidende Fehler der Zentralen Leitung. Sie hat die dialektische Einheit von Anleitung und Kontrolle nicht nur einseitig zerrissen, zum Beispiel nur angeleitet und nicht kontrolliert, sie hat vielmehr beide Seiten vernachlässigt. Damit hat sie ihre Leitungstätigkeit und -fähigkeit selbst untergraben und alle drei Organisationen in Gefahr gebracht. Ich weiß, das ist eine harte Anklage, aber ich sehe aufgrund bestimmter Erscheinungen der letzten Zeit keine andere Möglichkeit mehr, als mit aller Schärfe darauf hinzuweisen.

Habe ich nicht im Laufe des Jahres des öfteren Alarm geschlagen und die Leitungstätigkeit und -fähigkeit kritisiert? Es war eine ehrliche, offene und kameradschaftliche Kritik, um den Genossen der Zentralen Leitung zu helfen. Die Genossen von der Basis kritisierten die Zentrale Leitung, weil sie in der Umsetzung der Linie nicht zurechtkamen und nicht angeleitet wurden. Sie kritisierten zu Recht, aber sie kannten den Zustand in der Zentralen Leitung nicht, und die Zentrale Leitung kannte die Basis nicht. Warum hat sich die Zentrale Leitung die Kenntnis der Basis nicht verschafft? Die Zentrale Kontrollkommission hat das bei ihrer Untersuchung doch auch tun müssen. So wurde die dialektische Einheit von Leitung und Basis zerrissen, beide Seite machten, was sie wollten: Die Zentrale Leitung hat die Organisation »verwaltet« (und das noch schlecht), und die Basis resignierte. Konnte das anders sein? Ein altes Sprichwort lautet: »Die Organisation ist so, wie die Leitung ist!«

In der »Zusammenfassung sämtlicher Berichte von November/Dezember '75« der zentralen Organisationsabteilung heißt es am Schluß:

»Die Mißachtung selbst eines simplen organisatorischen Beschlusses wie des letzten unterstreicht noch einmal: Die Organisation hat wenig Vertrauen zur Zentralen Leitung. Die Ortsgruppen arbeiten weitgehend selbständig; von der Zentralen Leitung erhoffen sie sich wenig, sie scheint für die Ortsgruppen weit weg zu sein. Das sind Tendenzen zur Verstärkung des Zirkelzustands. Der Aufruf und verschiedene Rote-Fahne-Artikel konnten das Steuer bisher keineswegs herumreißen.

Die Ortsgruppen kämpfen jede für sich auf ihre Art und Weise. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sind uns unbekannt. Wie soll die systematische Zusammenfassung der Erfahrungen in den bestehenden Landesverbänden für die Zentrale Leitung in Zukunft aussehen?

Insgesamt muß die Situation für die Zentrale Leitung immer noch alarmierend sein.«

Mag das eine oder andere in dem Organisationsbericht übertrieben sein, der Alarmruf ist unüberhörbar. Warum hat sich die Zentrale Leitung nicht mit dem Zustand in der Organisation befaßt? Sagt Euch ein solcher Bericht wie der aus der Zelle Bo/Si-München nichts, wenn die Genossen schreiben:

»Die Kritik ist an der Zentralen Leitung zu üben, die es zugelassen hat, daß so ein Mist wie zum Beispiel das Hussi-Papier überhaupt Boden bekommt; das ist eindeutig die Schuld der Zentralen Leitung, die die ideologisch-politische Schulung und Auseinandersetzung vernachlässigt hat.

Wir sind der Ansicht, daß die Linie des KABD völlig richtig ist, und stehen auch darauf. Aus diesem Grund lehnen wir Tendenzen in der Organisation ab – und das Papier (»Verteidigt die ideologisch-politischen Grundlagen des KABD«) und die darin gestellte Hauptaufgabe zielen auf diese Richtung – den Beschluß des agitatorischen Sturms zu revidieren und zum Rückzug in die Studierstube zu blasen. Nur auf der Grundlage einer offensiven, kontinuierlichen Betriebsagitation können sich die Genossen entwickeln und unsere Linie verstehen und anwenden lernen.«

Diese Genossen haben recht und nicht Eure Klausurtagung. Ihr seid im Begriff, eine ungeheure Verwirrung in der Organisation zu erzeugen, davor warne ich mit aller Eindringlichkeit. Warum untersucht Ihr nicht Eure eigene Leitungstätigkeit? Warum analysiert Ihr nicht den Zustand in der gesamten Organisation? Woran liegt es, daß wir trotz einer richtigen ideologisch-politischen Linie im eigenen Saft schmoren?

In diesem Zusammenhang will ich die Frage des Liberalismus und Liquidatorentums berühren. Ich habe das Teilprotokoll der Sekretariatssitzung vom 8. 1. über den Punkt »Aufruf der Zentralen Kontrollkommission« vor mir liegen. Es beginnt: »Franz äußert Bedenken gegen den Aufruf, obwohl er mit seinem Inhalt einverstanden ist. Die Hauptgefahr in unserer Organisation seien nicht Liberalismus und Liquidatorentum, sondern die Gefahr des Rechtsopportunismus.« Abgesehen von dem Widerspruch »Bedenken – obwohl einverstanden« kommt hier eine unverantwortliche Unterschätzung der Gefahr des Liquidatorentums und des Liberalismus zum Ausdruck. Müssen wir denn erst auf den Trümmern unserer Organisation stehen, um uns von dieser Gefahr zu überzeugen? Ist denn diesbezüglich das ganze vergangene Jahr an der Zentralen Leitung spurlos vorübergegangen? Hat man sich für die Untersuchung der Zentralen Kontrollkommission überhaupt interessiert? Glaubt Ihr, wir würden von einer großen Gefahr sprechen, wenn das eine Fiktion wäre? Glaubt Ihr, wir würden zur revolutionären Wachsamkeit aufrufen, wenn alles in Butter wäre?

Sicher ist der Rechtsopportunismus eine Gefahr, aber nur, weil der Liberalismus tief in allen drei Organisationen verankert ist. Liberalismus ist eine kleinbürgerliche Erscheinung, die nicht nur den größten Teil der KSG erfaßt hat, sondern auch im RJVD und KABD tiefe Wurzeln geschlagen hat bis in die Zentralen Leitungen hinein.

Überprüft Euch doch selber mal in dieser Hinsicht! Warum mußte Günther selber zu dem Bruno-Papier Stellung nehmen, wäre das nicht Aufgabe der bisherigen Mitarbeiter Brunos gewesen? Deshalb nicht, weil ihr ein liberales Verhalten Bruno gegenüber an den Tag legt. Zweimal wurde die Zentrale Kontrollkommission gefragt, ob die Angelegenheit Bruno bald abgeschlossen wäre, damit er wieder in die politische Arbeit eingesetzt werden könnte, ja sogar wieder ins Sekretariat. Das ist Liberalismus! Über Helgas Planungsentwurf vom 12. 8. wurde die Ansicht vertreten, man könne es auch anders als die Zentrale Kontrollkommission sehen, obwohl hier schon die ganze Konzeption des Papiers der drei Ortsleitungen in Stichworten enthalten ist. In der Zentralen Leitung der KSG wurde von Sitzung zu Sitzung immer stärker die Linie des KABD angezweifelt, unsere Zentrale Leitung merkt nichts. Helgas Brief vom 15.9. wird nicht als Angriff auf die ideologischpolitische Linie gewertet. Zum Papier der drei Ortsleitungen meint Wotan, man könne es nicht einfach ablehnen, es sei auch berechtigte Kritik darin. All das ist Liberalismus in der Spitze.

Die Einschätzung des 2. Zentralen Delegiertentags der KSG als Anhang in der Dokumenten-Broschüre wurde von Helga mit Unterstützung von Tr. verfaßt, einstimmig von der Zentralen Leitung der KSG verabschiedet, unbesehen und mit Zustimmung von Bruno gedruckt und herausgegeben, obwohl diese Einschätzung bereits Angriffe auf unsere Linie enthielt. Das Sekretariat der Zentralen Leitung der KSG schreibt dazu: »Daß der Einschätzung des Zentralen Delegiertentags einstimmig zugestimmt wurde, zeigt, wie naiv und unkritisch wir an diese Aufgabe herangingen, wie wenig wir positiv der sich entfaltenden Strömung der Kritik am KABD entgegensetzten, was mit der mangelnden Klarheit der Linie bei uns zusammenhängt …«

Bei alldem verhält sich die Zentrale Leitung des KABD liberalistisch. Daß sich bei einem solchen Verhalten die Angriffe auf die Linie weiter verstärken müssen, liegt doch auf der Hand. Wie hat die Zentrale Leitung auf eine solche linienfeindliche Entwicklung reagiert? Die »ökonomistische Linie der Verbandsleitung« und im weiteren die »ökonomistische Linie des KABD« wurde nicht als Angriff auf die ideologisch-politische Linie gewertet, die falsche Richtung in der Kritik-Selbstkritik-Kampagne im RJVD nicht erkannt, weil das liberale Denken in der Zentralen Leitung schon stark verankert war. Kann man dann von der Basis etwas anderes erwarten? Die KABD-Ortsgruppe Schweinfurt unterschreibt geschlossen das organisationsfeindliche Papier der Bertholds und verteilt das Hussi-Papier »Die ökonomistische Politik des KABD« nicht nur in Schweinfurt, sondern auf Landeskonferenzen an die anwesenden Vertreter der Ortsgruppen. Hier war schon das Liquidatorentum aktiv am Werk, und die Zentrale Leitung hat nichts dagegen unternommen – das ist Liberalismus, der schon gefährlich wird. Die meisten Ortsgruppen der KSG sind vom Liberalismus zerfressen, der soweit geht, Organisationsfeinde zu decken und die Zentrale Kontrollkommission anzugreifen. Und das soll nicht die Hauptgefahr in unseren drei Organisationen sein!

Wie ist es mit dem Liquidatorentum? Das Liquidatorentum kann nur entstehen und sich entwickeln in der Atmosphäre des Liberalismus. Liberalismus und Liquidatorentum bilden auch eine dialektische Einheit – eine negative und gefährliche obendrein. Die Angriffe auf unsere ideologisch-politische Linie bedeuten in der Konsequenz Liquidatorentum. Nicht nur, daß unsere Linie liquidiert wird – ohne die ideologisch-politische Linie wird der proletarischen Organisation die Grundlage entzogen und damit die Existenzberechtigung, denn ohne ideologisch-politische Linie landet die Organisation im revisionistischen Sumpf. Wie kann man diese Angriffe auf die Linie nur so maßlos unterschätzen? Wenn die Zentrale Kontrollkommission nicht so schnell und hart zugegriffen hätte, wenn sie auch vom Liberalismus angefressen wäre, was glaubt Ihr, was passieren würde? Wir haben dabei die Angriffe auf die Zentrale Leitung abgedeckt und Wut und Haß der Liquidatoren auf uns gezogen.

Wir haben nur die Spitze des liquidatorischen Eisbergs erfaßt, der unsichtbare Teil lauert auf einen Zusammenstoß mit unserem schwankenden Schiff. Die Zentrale Kontrollkommission ruft zur revolutionären Wachsamkeit auf gegenüber dieser Gefahr, und Franz meint, das sei keine Hauptgefahr. Franz, eine solche Auffassung ist Liberalismus. Das Liquidatorentum war doch bereits bis in das Sekretariat der Zentralen Leitung eingedrungen, wenn auch kein bewußt handelndes Liquidatorentum. Was ist Wotans Rücktritt und jetzt Austritt anderes als Liquidatorentum, und das in dem Augenblick, wo die Liquidatoren offen den Kampf gegen die Linie proklamieren? Wißt Ihr überhaupt, daß Bruno in seinem Referat, das er auf der erweiterten Sitzung der Zentralen Leitung am 20./21. September halten wollte und das durch den Eingriff der Zentralen Kontrollkommission verhindert wurde, selber Angriffe auf unsere Linie führen wollte? Hier wörtlich:

»Die falsche Linie der KSG, ›gegen den Großmachtkurs den offensiven Kampf an der Hochschule‹ zu führen, resultiert nämlich nicht daraus, daß eine richtige Politik falsch übertragen wurde. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich nämlich die falsche Linie an der Hochschule aus einer falschen Politik unserseits …

Dies ist genau eine Einschätzung, die aussagt, daß durch den wirtschaftlichen Kampf dem Imperialismus und seinen Großmachtplänen der Kampf angesagt werden kann, das ist genau die ökonomistische Einschätzung, auf der die Linie, und zwar unsere Linie, an der Hochschule aufgebaut wurde. Bis heute sind diese Aussagen nicht korrigiert. (Als wenn es keine Stellungnahme des KABD zur ideologisch-politischen Linie für die KSG gegeben hätte – Willi)

An diesem Beispiel sehen wir deutlich, daß nicht etwas Richtiges falsch übertragen wurde und es damit eine Frage des Arbeitsstils ist, sondern daß dem Ganzen etwas Falsches, nämlich eine ökonomistische Politik zugrunde lag.

Das Hineingeben des Arbeiterkampfprogramms zum damaligen Zeitpunkt mußte die Organisation auf der Grundlage ihres Zustands völlig auf den alleinigen Kampf um Tagesforderungen festlegen; denn es wurde auch nicht von den Leitungen erkannt, daß die Organisation schon längst nicht mehr auf der Grundlage unserer Grundsatzerklärung arbeitete …

Heute muß die Organisation dieses Hauptkettenglied anpacken und die bisherige praktizierte Organisation und ökonomistische Betriebspolitik überwinden. Die ideologische Auseinandersetzung um die Weiterentwicklung der Linie muß in der gesamten Organisation geführt werden.«

Die Übereinstimmung mit der Ansicht Helgas ist unverkennbar. Diese erweiterte Sitzung der Zentralen Leitung sollte Ausgangspunkt für eine Wende auf der Grundlage einer neuen ideologischpolitischen Linie werden, nachdem das Papier der drei Ortsleitungen der Auftakt zur Liquidierung der bisherigen Linie sein sollte.

Die Zentrale Kontrollkommission hat im Kampf gegen das Li-quidatorentum harte Bandagen angezogen, aber nie die Erziehungsarbeit vergessen, um die Genossen von ihrem falschen Standpunkt abzubringen und sie für die proletarische Bewegung zu erhalten. Es ist möglich, daß daraus die falsche Schlußfolgerung gezogen wird, Liquidatorentum und Liberalismus seien nicht so gefährlich. Wir haben zum Beispiel Helga, nachdem sie mehrere unzureichende Stellungnahmen abgegeben hatte, hart und doch kameradschaftlich angefaßt, das hatte gesessen. In ihrer letzten Stellungnahme schreibt sie:

»Willi hat recht: Ich bin den Dingen nicht wirklich auf den Grund gegangen, sondern habe nur Fehler, die ich für unhaltbar hielt, zugegeben, ansonsten aber habe ich hauptsächlich meine guten Absichten beteuert, ohne mir hart die Frage zu stellen, was ich wirklich angerichtet habe.

Mir ist nachhaltig klargeworden, was ich noch für Schwierigkeiten dabei habe, immer konsequent von unserer Sache auszugehen, vom Interesse der Revolution, und die eigenen subjektiven Empfindungen, Emotionen zurückzudrängen, damit sie nicht alles überwuchern. Ich habe schon immer damit zu kämpfen gehabt, aber mir ist noch nie so nachhaltig klargeworden, wozu das führt. Das führte nämlich dazu, daß ich mich verrannte, nicht mehr aufgeschlossen war für andere Argumente und das auch noch für besonders aufrecht hielt. Ich bin froh, daß mir diese Lehre erteilt wurde, auch wenn ich das erst mal als eine deftige Ohrfeige empfand.«

Glaubt Ihr, eine solche Wandlung wäre erreicht worden, wenn wir mit Liberalismus an die Genossen herangegangen wären? Wir haben auch nicht die geringsten Zugeständnisse ihren falschen Ansichten gegenüber gemacht, mögen sie offen feindlich oder getarnt wie Zuckerbrot serviert worden sein.

Ich bin deshalb ausführlicher auf die Fragen des Liquidatorentums und des Liberalismus eingegangen, weil ich durch die Unterschätzung der Gefahr, die bei Franz zum Ausdruck kommt, beunruhigt bin. Wenn die Zentrale Leitung diese Ansicht übernimmt und die Organisation entsprechend falsch anleitet, wird die an sich schon schwach entwickelte Wachsamkeit vollends einschlafen.

Überprüft alle die von mir angeschnittenen Fragen, und handelt nach der Aufforderung Yan Fengs: »Lernt die dialektische Auffassung der Einheit der Gegensätze beherrschen!«

Willi