Willi Dickhut
Korrekte Zusammenarbeit von KAB/ML und KPD/ML(RW)
Grundsätzliche Briefwechsel und Dokumente Willi Dickhuts 1972
Liebe Genossen! 16. 4. 72
Anbei unsere Vorschläge zur Änderung des Statuts, die wir gestern beraten haben.
Kurz bevor ich zur Sitzung fahren mußte, kamen drei Genossen der Tübinger Ortsgruppe: Peter J., Johann T. und Jürgen T. Sie erklärten, daß sie von mir einen Rat wollten, weil J. ausgeschlossen sei. Ich sagte ihnen natürlich, daß ich nicht zuständig sei, selbst wenn wir bereits vereinigt wären, wäre das eine Angelegenheit der zuständigen Leitung und Kontrollkommission, aber nicht der Kontrollkommission von Nordrhein-Westfalen. Das war ihnen auch klar, und sie hatten Verständnis, daß ich nicht auf die Ursache des Ausschlusses einging. Sie wollten einen Rat, was sie tun sollten, weil bis Mittwoch jedes Ortsgruppenmitglied durch Unterschrift erklären sollte, daß es den Ausgeschlossenen als Opportunisten verurteilte; falls das nicht geschähe, würde es ebenfalls ausgeschlossen. Ich habe ihnen erklärt, daß der Ausgeschlossene laut Statut das Recht habe, Einspruch beziehungsweise Berufung gegen den Ausschluß zu erheben. Die anderen Mitglieder der Ortsgruppe Tübingen sollten in der Angelegenheit nichts überspitzen, sondern mit der übergeordneten Leitung sachlich über die Angelegenheit diskutieren. Sie ließen mir einige Betriebszeitungen und Flugblätter hier, in denen angeblich opportunistische Fehler sein sollten, die zum Ausschluß geführt haben sollen. Damit war die Unterredung beendet. Ich habe heute noch keine Gelegenheit gehabt, die Betriebszeitungen durchzusehen.
Soweit der Vorfall bei mir. Ich habe nicht den Eindruck, daß sie gekommen waren, mich gegen Euch auszuspielen. Wir wollen als positiv werten, daß sie zu mir und nicht zu den Gegnerorganisationen gegangen waren. Wenn ich auch keine Kenntnisse von den Vorgängen in der Ortsgruppe Tübingen habe, so bitte ich Euch doch, mit dem Mittel der Überzeugung in der Mitgliederversammlung aufzutreten, denn es handelt sich ja nicht nur um den Ausgeschlossenen. Wenn das mit dem Reversunterschreiben stimmen sollte, halte ich das nicht für ein geeignetes Mittel, die Mitglieder von der Richtigkeit des Ausschlusses von J. zu überzeugen. Wir müssen manchmal in solchen Dingen geschickt operieren, ohne bei grundsätzlichen Verfehlungen als Versöhnler aufzutreten. Falsch wäre es, von Seiten der Leitung etwas zu überspitzen; ich meine das allgemein und nicht für diesen speziellen Fall, den ich ja im einzelnen nicht kenne. Bedenkt auch bitte, daß Ausschluß wirklich das äußerste Mittel gegen Parteivergehen ist. Und wenn bei einem solchen Verfahren nicht peinlich genau das Statut und die Richtlinien der Kontrollkommissionen berücksichtigt werden, kann das eine Unruhe in der gesamten Organisation hervorrufen, darum seid bitte sehr vorsichtig. Faßt das bitte nicht so auf, als würde ich Euch Vorschriften machen wollen, ich habe früher x Verfahren durchgeführt und bin auch jetzt Vorsitzender der Landeskontrollkommission. Ich schreibe Euch das aus Sorge, weil es sich doch in den meisten Fällen um junge, unerfahrene Genossen handelt, die in ihren Vorstellungen falsche Ideen entwickeln und darum Fehler machen. Rechtzeitige sachliche Kritik kann manchen Ausschluß aus der Partei verhindern. Lieber zehnmal das Mittel der Überzeugung als einmal administrative Mittel! Es würde mich nun doch interessieren, wie es zu den Vorfällen in der Ortsgruppe Tübingen gekommen ist und was dem zugrunde gelegen hat.
Rot Front!
Willi