Hintergrundgespräch Teil 10

Hintergrundgespräch Teil 10

NATO in der Krise

Hintergrundgespräch von Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV) mit Stefan Engel zur Krise der NATO. Hintergrundgespräch Teil 10

Von RW-Redaktion

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Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Wir sind bei einem neuen Hintergrundgespräch, herzlich willkommen Stefan Engel. Heute soll es um die aktuelle Entwicklung rund um die NATO gehen. Die aktuelle Sicherheitskonferenz in München wird in die Geschichte eingehen. Sie ist von weltpolitischer Bedeutung.

Stefan Engel: Ja, das ist richtig. Unmittelbar vor dieser Sicherheitskonferenz hat Donald Trump sein lang angekündigtes Telefongespräch mit Wladimir Putin unter der Maßgabe geführt, dass jetzt die Friedensgespräche über den Ukrainekrieg beginnen würden. Ob das so funktioniert oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Auffällig ist aber, dass dies über den Kopf der ukrainischen Regierung und auch der europäischen Regierungen, der Verbündeten der USA gemacht wird. Es ist ein nicht abgesprochener Alleingang, der die NATO in eine tiefe Krise stürzt.

Die NATO ist ja ein Bündnis, in dem angeblich gleichberechtigt die verschiedensten Partner zusammenarbeiten. Aber Trump praktiziert seine Politik »America First« jetzt auch auf außenpolitischem Gebiet und provoziert damit seine europäischen Partner. Es hat sehr viel Aufregung erzeugt, was das alles zu bedeuten hat. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat angekündigt, dass er keinen Frieden akzeptiert, der nicht mit der Ukraine selbst geschlossen wird. Die europäischen Verbündeten haben hektische Treffen durchgeführt, welche Schlussfolgerungen gezogen werden sollen. Aber Fakt ist, dass die NATO damit eine Zäsur erleidet und in ihrer bisherigen Form nicht mehr handlungsfähig ist.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Du sagst, Trump stürzt die NATO in eine tiefe Krise. Was heißt das genau?

Stefan Engel: Es sieht ja so aus, dass die USA sich aus gemeinsamen NATO-Projekten verabschieden, vor allem aus der Unterstützung der Ukraine. Sie sagen, die Europäer sollen jetzt ihre Probleme alleine lösen, wohl wissend, dass die europäischen Militärs gar nicht in der Lage sind, das zu kompensieren, was der US-Imperialismus bisher an Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte und der ukrainischen Gesellschaft geleistet hat. Das ist eine neue Situation und eine Vorlage an Putin, der jetzt sehr weitgehend seine Forderungen durchsetzen kann.

Trump macht ja weitgehende Zugeständnisse an Putin. Zum einen sagt er, dass die Ukraine keinesfalls in die NATO kann, was bisher immer eine Option war. Zum anderen sagt er, dass die Ukraine Russland durch Abtretung ukrainischer Gebiete entgegenkommen muss. Immerhin ist die Ukraine derzeit etwa zu einem Fünftel von Russland besetzt, insbesondere der Donezk-Bereich, eines der rohstoffreichsten Gebiete der Welt.

Damit wäre ein wichtiges Kriegsziel der Ukraine vom Tisch gefegt. Sie wollte ihre nationale Souveränität verteidigen und die russischen Truppen aus der Ukraine drängen. Das steht offensichtlich gar nicht mehr zur Debatte.

Gleichzeitig wird Russland militärisch von der NATO als eine Bedrohung angesehen. Die europäischen Regierungen sehen sich gegenwärtig nicht in der Lage, dieser Bedrohung selbstständig entgegenzutreten. Das ist eine neue Ausgangslage, die sofort zum Sondertreffen in Paris geführt hat.

Es gehört zur Politik der USA, dass die EU und die NATO-Partner gespalten sind. Das hat Trump geschickt vorbereitet, indem er faschistoide und extrem reaktionäre Regierungen wie zum Beispiel Orban in Ungarn oder Meloni in Italien ins Boot holte und bestimmte Sonderbeziehungen herstellte. Diese Regierungen stehen auf der Seite von Trump, während die hauptsächlichen Vertreter der europäischen Länder gegen den Trump-Friedensplan sind.

Diese Situation wurde offensichtlich bewusst herbeigeführt. Sie steht auch im Zusammenhang damit, dass Trump überhaupt internationale Organisationen wie die UNO, die Weltgesundheitsorganisation, die Klimavereinbarungen von Paris usw. ablehnt. Er fängt an, internationale Organisationen systematisch zu demontieren, um gleichzeitig das Gewicht der USA zu erhöhen. Das ist eine aggressive imperialistische Außenpolitik,. Sie baut nicht so sehr auf Bündnisse, sondern die USA wollen überall bestimmen, was in der Welt passiert. Das gerät natürlich in Widerspruch zu den imperialistischen Interessen anderer Länder.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Das Vorgehen von Trump ist ja auch eine regelrechte Provokation gegenüber den europäischen Partnern.

Stefan Engel: Natürlich. Trumps Vizepräsident Vance kritisierte die europäischen Länder, dass sie nicht genügend mit den faschistischen Parteien zusammenarbeiten. In Deutschland hat er zur Wahl der AfD aufgefordert und dass man die AfD künftig in die Regierung aufnehmen soll. Es ist ein Novum, dass sich die USA in die innenpolitischen Auseinandersetzungen, in die Wahlen einmischen und ihre faschistische Politik jetzt auch in andere Länder transportieren wollen.

Vance sagte eindeutig, man müsse die AfD unterstützen, die Migranten stärker bekämpfen, die »Meinungsfreiheit« wiederherstellen. Es würde gegen die »Meinungsfreiheit« verstoßen, wenn man faschistische Parteien und Propaganda bekämpft. Das ist eine sehr demagogische faschistische Argumentation. Man sieht daran, wie die neue Stufe der Aggression des US-Imperialismus ganz eng mit der Verbreitung des Faschismus auf internationalem Terrain zusammenhängt. Kriegsvorbereitung und Faschismus hängen sehr eng zusammen und müssen künftig auch im Zusammenhang behandelt werden.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Wie reagieren die Europäer jetzt darauf, was Trump macht?

Stefan Engel: Die Europäer sind vor den Kopf geschlagen. Sie wollen ja keinen Schnitt mit den USA und hoffen immer noch, dass man zusammenarbeitet.

Gleichzeitig nutzen sie die Situation auch, um ihre eigenen imperialistischen Ambitionen voranzutreiben. Auf dem Treffen in Paris wurde diskutiert, wie man künftig gemeinsam aufrüstet. Trump hat von den Europäern gefordert, die Aufrüstung auf fünf Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen. Das wären umgerechnet auf den Bundeshaushalt über 40 Prozent. Das wäre eine Kriegswirtschaft. Trump fordert also offen eine Kriegswirtschaft in Europa, und die Europäer lehnen das nicht eindeutig ab. Sie sagen zwar, »das ist ein bisschen viel«. Aber insbesondere faschistische Parteien wie die AfD sind richtige Fans davon. Die AfD hat gleich erklärt, das wäre richtig. Die AfD-Kandidatin Weidel sagt, das würde noch nicht einmal ausreichen. Die faschistischen Verbündeten von Trump sind die Protagonisten dieser aggressiven Politik.

Gleichzeitig ist es auch eine Methode, die Wirtschaft anzukurbeln. Während der ganzen Diskussion sind die Rüstungsaktien immens gestiegen. Innerhalb weniger Tage stieg allein die Rheinmetall-Aktie fast um 300 Punkte von 700 auf fast 1000 Punkte. Die ganzen Rüstungswerte sind regelrecht explodiert, um 20, 30, 40 Prozent.

Die Aufrüstung soll also gleichzeitig eine Methode sein, die Wirtschaft in Gang zu setzen. Vance hat die Regierungen ganz offen kritisiert, sie würden viel zu viel für soziale Belange ausgeben. Sie sollen das Geld in Rüstung stecken und natürlich auch die Rüstungsgüter aus den USA kaufen.

Hier geht es also um eine Aufrüstung, die mit den sozialen Errungenschaften der breiten Massen finanziert wird. Damit bekommt die reaktionäre Wende, die insbesondere von CDU/CSU und AfD angekündigt wurde, einen neuen Inhalt. Man darf sich auf einiges einstellen.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Olaf Scholz gibt sich immer so zurückhaltend. Dabei hat gerade die Bundesregierung schon 2023 verteidigungspolitische Richtlinien beschlossen, »Operation Deutschland« heißt das Papier.

Stefan Engel. Das ist richtig. Dieses Papier beinhaltet eine umfassende Aufrüstung Deutschlands, eine ungeheure Militarisierung. Das bezieht sich auf den Aufbau der Bundeswehr, die bis 2029 kriegsfähig gemacht werden soll. Es bezieht sich auch darauf, dass die deutsche Industrie sich auf Kriegsproduktion ausrichtet. Es bezieht sich auch auf eine ideologische Kampagne, um den »Verteidigungswillen« der Bevölkerung herzustellen. Damit haben sie offensichtlich ziemliche Probleme.

Dieser Operationsplan Deutschland ist darauf ausgerichtet, dass Deutschland zur stärksten Armee in Europa ausgebaut wird und eine Führungsrolle in Europa einnehmen soll. Das hat natürlich sehr weitgehende Auswirkungen auf alle Bereiche der Wirtschaft, der Politik usw.

Wenn man dieses Papier genau anschaut, weiß man, dass es mit den offiziellen Verlautbarungen der Scholz-Regierung nicht übereinstimmt. Scholz tut so, als müsse man vorsichtig sein. Insbesondere vor den Wahlen stellt er sich als derjenige hin, der Deutschland vor Kriegsabenteuern bewahrt. In Wirklichkeit kommt dieses Papier »Operation Deutschland« von der Bundesregierung und ist mit ihr abgestimmt. Darin steht, dass die Bundeswehr wieder zu einer Wehrpflichtarmee werden soll. Mit »Aufklärungsarbeit« soll eine Propaganda der Bundeswehr in allen gesellschaftlichen Bereichen, in den Schulen, in Universitäten, im Fernsehen usw. losgetreten werden. Da haben wir einiges zu erwarten. Bezahlt werden soll es von den Sozialleistungen der Bevölkerung, die radikal gekürzt werden sollen.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Was sagt die Bevölkerung zu diesen Plänen?

Stefan Engel: Die Bevölkerung ist über die Kriegsvorbereitungen nicht sehr erbaut. Das ist ein Hauptproblem. Man kann keinen Krieg führen, wenn man die Bevölkerung nicht hinter sich hat. Wir werden eine chauvinistische Welle erleben.

Es gibt schon eine Reihe Narrative, die begründen sollen, warum »wir« unbedingt aufrüsten sollen: Es stehe ein Angriffskrieg der Russen bevor. Wir haben das schon in den 1970er-Jahren als Begründung erlebt, als die Sowjetunion noch existierte. Es wird jetzt mit dem Ukrainekrieg noch einmal weiter ausgebaut. Unter den Menschen werden Ängste erzeugt, man müsse sich verteidigen. Damit will man Vorbehalte gegen einen Krieg abbauen.

Diese Angstpropaganda ist ein Kernstück dieser chauvinistischen Argumentationslinie. Sie ist zumindest einseitig. Denn die Aggression geht ja nicht nur von Russland aus, sie ist auch von der NATO ausgegangen. Die NATO hatte sich nach der Wiedervereinigung verpflichtet, sich nicht nach Osten auszudehnen – und heute steht sie an der Grenze Russlands. Fast alle ehemaligen RGW-Länder, die damals im Einflussbereich der Sowjetunion standen, sind inzwischen Mitglied in der NATO und Aufmarschgebiet gegen Russland geworden.

Auch im Ukrainekrieg geht es darum, wie man dieses große rohstoffreiche Industrieland in seine Einflusssphäre einbezieht: Gelingt es, die Ukraine in die NATO oder die EU zu holen oder schafft Russland es, die Ukraine wieder zurück in seine Einflusssphäre zu holen.

Insofern ist es einseitig zu sagen, »der Russe ist der Aggressor und wir sind die Verteidiger«. Das entspricht nicht den Tatsachen. Es ist eine imperialistische Auseinandersetzung, die eine Schlussfolgerung aus dem gewaltigen Konkurrenzkampf ist, der sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. Das begann mit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008-2014, als die internationalisierte Produktion in eine tiefe Krise geraten ist. Ausgehend davon entwickelten sich sowohl faschistische Regierungen in den imperialistischen Ländern als auch verschärfte Auseinandersetzungen um die Einflusssphären. Russland hat die Krim besetzt. Auch den Krieg Israels gegen die Palästinenser, gegen den Libanon, gegen verschiedene Länder im Nahen und Mittleren Osten kann man dazu zählen, ebenso den Krieg im Sudan. Hier geht es immer um Einflusssphären.

Diese Auseinandersetzung muss man so führen, dass man dem Imperialismus insgesamt die Stirn bieten muss, der einhergeht mit Krieg und Kriegsgefahr, mit Militarisierung und inzwischen auch mit Faschismus. Das ist die neue Schlussfolgerung, die wir ziehen müssen.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Was ist denn jetzt die Antwort der MLPD, was in dieser Zeit zu tun ist?

Stefan Engel: Zunächst hat diese Auseinandersetzung auch zu einer Krise der sogenannten freiheitlich-demokratischen Grundordnung geführt. Das heißt, es ist nicht mehr adäquat, wie man bisher regiert, bisher Politik macht. Ein anderer Stil zeichnet sich ab. Am liebsten wäre es denen, wenn man wie in den USA durchregiert. CDU Kanzlerkandidat Merz hat schon angekündigt, dass er sich dazu berufen fühlt. Er möchte schon am ersten Tag nach den Bundestagswahlen die Grenzen dichtmachen. Am ersten Tag hat man aber noch gar kein Parlament. Das scheint also offensichtlich immer weniger eine Rolle zu spielen, man sieht das in den USA.

Trump regiert seit dem ersten Tag seiner Amtseinführung ohne Kabinett, ohne Parlament. Er arbeitet nur mit Dekreten. US-Gerichte haben verschiedene Dekrete wieder aufgehoben. Jetzt steht eine Auseinandersetzung beim Obersten Gerichtshof an, ob die Exekutive von Trump höher steht als die Gesetze. Wenn entschieden wird, dass Trump machen kann, was er will, dann haben wir wirklich faschistische Verhältnisse. Diese Tendenz gibt es in allen imperialistischen Ländern.

Es ist eine wichtige Frage, was die Menschen wollen. Wollen sie die Tendenz zum Faschismus unterstützen, zum Beispiel durch die Wahl der AfD, der CDU/CSU, des BSW oder der FDP? Oder stellen sie sich dem entgegen? Diese wichtige Richtungsentscheidung steht an.

Celina Jacobs (Rote-Fahne-TV): Vielen Dank, Stefan für dieses informative Gespräch. Wir hoffen, dass es neue Anregungen und Argumente bieten konnte. Wir freuen uns auf das nächste Mal, das am 24. Februar sein wird. Dort werden wir uns zur Wahlauswertung treffen.