Rezension zum RW 38

Rezension zum RW 38

Rezension der Zeitschrift "Gegenwind" zum Buch "Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft"

Rezension zum Buch von Stefan Engel: "Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft", Gegenwind 415, April 2023

Von Klaus Peters, Gegenwind

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Kritik der bürgerlichen Naturwissenschaft
Wieder hat das Redaktionskollektiv unter der Leitung von Stefan Engel mit „Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft" ein wichtiges Buch herausgegeben. Dieses Buch, das als Teil III der Reihe „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise" erschienen ist, ragt aus der Fülle der Publikationen deutlich heraus. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Entscheidend ist die Herangehensweise an die Thematik, die auf der dialektisch-materialistischen Methode basiert. Nicht unwesentlich für die Aussagekraft und Lesbarkeit des Buches ist die Diktion im Kontext mit den kurz gehaltenen Texten. Bei der Komplexität der Thematik trotzdem keine zu unterschätzende Herausforderung für Leser. Vorsichtshalber wird deshalb auf die zusammenfassenden Erläuterungen in der Einleitung hingewiesen.
Nicht nur durch Massenmedien und bürgerliche Publikationen mehr oder weniger beeinflusste Menschen mögen sich fragen, ob Naturwissenschaft, anders als Gesellschaftswissenschaft, nicht immer ideologiefrei sein müsste. Zu dieser Frage gibt es in der Einleitung und in den nachfolgenden Abschnitten aufschlussreiche Antworten. Wir ahnten es vielleicht auch schon: Wissenschaftliche Ergebnisse werden durch neue Erkenntnisse weiterentwickelt, erweisen sich möglicherweise sogar als falsch. Ergebnisse sind unterschiedlich interpretierbar. Die Richtung, die Schwerpunkte der Forschung und die Anwendung der Ergebnisse werden sowohl durch politische Vor gaben, als auch durch finanzielle Budgets beeinflusst.
In der Einleitung wird erfreulicherweise gleich über auf die systemische Dimension der Krise der Biosphäre aufgeklärt. Die Reduktion auf die Klimafrage hat zu fatalen Fehlschlüssen und Fehlentwicklungen und damit gleichzeitig zu weiterer Verwirrung der Menschen geführt. In diesem Kontext ist übrigens erneut deutlich geworden, dass Krisen und Kriege in besonderer Weise genutzt werden, um partei- -oder machtpolitische Ziele durch zusetzen. Dies geschieht auch, wenn Programme und Wahlaussagen noch das genaue Gegenteil beinhalten. Die Bürger werden überrumpelt, sie konnten es nicht glauben.. Dies, zumal auch noch beschleunigte Verfahren angewandt werden.
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Der Umgang mit der Klimafrage einerseits und mit der Biosphäre andererseits, ist nur eine von vielen Folgen der nicht dialektischen Herangehensweise an bekannte und neue Herausforderungen. Politik, Kapital, Massenmedien, die von ihnen Abhängigen und ihre Mitläufer verhindern echte Aufklärung. Eine Befreiung von der allgegenwärtigen kapitalistischen Propaganda ist nicht so einfach, wie weitere Beispiele zeigen. Schließlich will man halbwegs gut über Lokales informiert sein und gelegentlich gibt es auch aus dem bürgerlichen Lager Informationen, die hilfreich sein können. Hinzu kommt der Einfluss aus dem beruflichen und privaten Umfeld, dem sich niemand ganz entziehen kann.
Das aus der Astrophysik kommende und von ihr gepflegte Modell der Urknalltheorie ist ein weiteres Beispiel eindimensionaler Betrachtungen. Diesem Thema ist ein Kapitel gewidmet. Ein weiteres Kapitel behandelt Wege in der Biologie und Abweichungen davon, wie den Sozialdarwinismus. Als aktuelles Beispiel werden die Entwicklung und der Umgang mit dem COVID-19-Impfstoff erläutert. Beides erfolgte auf profitorientierter Basis, mit massiver staatlicher Unterstützung und horrenden privaten Gewinnen. Im Zusammenhang mit der Evolutionsgeschichte des Menschen wird die dialektische und durch qualitative Sprünge bestimmte Entwicklung erläutert.
Der Ökologie ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Zunächst werden die Verdienste des Naturforschers Alexander von Humboldt und des Zoologen Ernst Haeckel gewürdigt, der den Begriff Ökologie definiert hat. Die Autoren kommen jedoch zu dem Schluss, dass Haeckel die Wechselbeziehungen der Umwelt mit dem Menschen nicht als zentrales Element der Ökologie betrachtet hatte. Eine fehlerhafte Schlussfolgerung war demnach die schlichte Propagierung der Einheit von Ökonomie und Ökologie. Mit der einseitigen Fokussierung auf die Klimafrage und den damit generierten Maximalprofiten, insbesondere für die Wind- und Solarenergiebranchen, ist ein Desaster hervorgerufen worden.
Naheliegend wird das bürgerliche Ingenieurwesen im folgenden Kapitel untersucht. Das Ingenieurwesen, also die angewandte Naturwissenschaft, war immer stark von Konzern- und damit von Kapitalinteressen abhängig. Zuletzt haben sich damit verbundene Fehlentwicklungen beispielsweise durch die Betrugssoftware der Atomindustrie oder auch durch das Großprojekt Stuttgart 21 gezeigt. Ganz aktuell sind die durch den Milliardär Elon Musk ausgelösten Aktivitäten beim Bau von Elektroautos. Für eine Autofabrik in Brandenburg sind 300 Hektar Wald gerodet worden. Das Gelände liegt zudem noch in einem Wasserschutzgebiet. Für eine Batterie eines Elektroautos werden 13,5 Kilogramm Lithium und ebenso viel Kobalt aus anderen Kontinenten für ein Elektroauto mit 90 Kilowattstunden benötigt.
In den beiden folgenden Kapiteln geht es um die bürgerliche Medizin. Mehrere Kritikpunkte werden aufgeführt und begründet. Zentral sind die Vernachlässigung der Ganzheitlichkeit, das enge Regelwerk, die Konzentration auf individuelles Verhalten. Die bürgerliche Medizin ist durch Privatisierungen zunehmend gewinnorientierend ausgerichtet worden. Die „alternative Medizin“, Homöopathie im engeren Sinn, wird auch als Ausdruck des Versagens der etablierten bürgerlichen Medizin betrachtet aber nicht unterstützt.
Die Psychologie hat, nachdem sie durch Sigmund Freud zunächst nur bei Mitgliedern höherer Kreise der bürgerlichen Gesellschaft angewandt worden war, in der kapitalistischen Gesellschaft unterschiedliche Rollen übernommen. Grundsätzlich geht es um die Anpassung der Menschen an die bestehenden Verhältnisse in verschiedenen Konstellationen, bis hin zur Vorbereitung auf Kriege und um Folgentherapien. Teilweise ist Psychologie auch Religionsersatz geworden. Die Autoren stellen fest, dass die Krise der bürgerlichen Psychologie letztlich erst überwunden werden kann, wenn die Menschen die Wirklichkeit dialektisch-materialistisch erforschen und sich befähigen, bewusst schöpferisch auf sie Einfluss zu nehmen. Das bedeutet, sowohl sich als Individuen, als auch die ganze Gesellschaft zu verändern.
Im letzten Kapitel geht es um Perspektiven der modernen Naturwissenschaft. Die Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, haben demnach einen bisher nicht da gewesenen Höchststand erreicht. Für den Grad der Verwirrung der Menschen könnte man wohl eine ähnliche Feststellung machen. Es dürfte auch und besonders darauf ankommen, wie Wissenschaftler und Bürger ein neues Verhältnis zueinander finden, sich befreien und engagieren, für eine dialektisch-materialistische Entwicklung von Natur, Mensch und Gesellschaft.
Trotz der wertvollen Erkenntnisgewinne, die im Buch enthalten sind, kann Ergänzungsbedarf angemerkt werden. Mögliche Defizite in späteren Publikationen aufzuarbeiten, ist vielleicht schon vorgesehen. Bei tendenziell optimistischen Aussagen könnten sich allerdings dann abgeschwächte Aussagen als notwendig erweisen, wenn auf die Umsetzung, beispielsweise im Energiebereich, näher eingegangen wird. Einige grundsätzliche Schwierigkeiten und allzu opportunistische Vorgehensweisen der bisherigen und amtierenden politischen Klasse und auch einiger ihrer Kritiker, werden genannt. Die Bewältigung des übergeordneten Kernproblems „Wachstumswahn“ ist aber eher als eine ideologieübergreifende Herausforderung zu betrachten. Im kapitalistischen System ist der Wachstumswahn quasi unverzichtbar, propagierte Lösungen werden zu immer neuen Problemen führen, die wiederum nicht zwangsläufig einen Systemwechsel einleiten.
Eine Aufarbeitung eines wesentlichen, sichtbaren Teils bürgerlicher Kultur und ihrer Folgen dürfte eben­ falls Lücken schließen. Die Einheit von Mensch und Natur erfordert nicht nur funktionale, sondern auch gestalterische Entsprechungen. Die Natur funktioniert eben nicht nur in Kreisläufen, sondern ist in ihrer Vielfalt durchweg auch ästhetisch, ebenfalls mit Rückwirkungen auf das Denken und Handeln der Menschen.
Klaus Peters
Stefan Engel: Die Krise der bürgerlichen Naturwissenschaft, 165 Seiten, Verlag Neuer Weg 2023, ISBN 978-3-88021-649-5, 17 Euro